Kurt Biedenkopf (1930-2021)Senkrecht-Starter in Sachsen

91-jährig ist der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf gestorben. Gedanken eines politischen Mitstreiters.

Kurt Biedenkopf (1930-2021)
Kurt Biedenkopf (1930-2021)© picture alliance / SvenSimon | Malte Ossowski

Zu Kurt Biedenkopfs 90. Geburtstag im Januar 2020 war die Öffentlichkeit noch einmal in Dresden präsent. Erinnerungen wurden wach an die Zeit, als sich die Hoffnungen auf das Ende der Berliner Mauer, ja sogar auf die deutsche Wiedervereinigung verwirklichten. Damals, im Frühjahr 1990, entschloss sich Kurt Biedenkopf als einer der wenigen Intellektuellen der Politik und erfolgreicher Universitätsprofessor, nach Leipzig zu gehen – an die nach Heidelberg zweitälteste ununterbrochen existierende deutsche Universität, um dort im Bereich der Volkswirtschaftslehre zu forschen und zu unterrichten. Kurt Biedenkopf war zuvor als Generalsekretär der CDU an Helmut Kohl gescheitert, ebenso beim Versuch, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen zu werden.

Zwar war Leipzig damals eine von der DDR-Politik ideologisch heruntergebrachte Universität, doch war sie nun, wie die ganze Stadt, in Bewegung geraten. Und so war der Entschluss Biedenkopfs, dort akademisch zu wirken, der erste Schritt auf dem Weg, von der sich wandelnden sächsischen CDU als Spitzenkandidat nominiert und nach einem grandiosen Wahlsieg im selben Jahr Ministerpräsident des wieder erstehenden Freistaates Sachsen zu werden.

Was nun? War nach Jahrzehnten eines oft wider alle Vernunft und Einsicht betriebenen Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaft nach marxistisch-leninistischen Vorgaben ein freiheitliches Leben zu erreichen? Wäre es nicht besser, so rasch wie möglich das bundesdeutsche Modell zu kopieren? Doch könnte so eine freiheitliche Gesellschaft entstehen? Kurt Biedenkopf wusste um die jahrhundertelange erfolgreiche Entwicklung Sachsens zu einer der ältesten Industrieregionen Europas. Was Sachsen brauchte, war ein rascher Zugang zu hochentwickelten Produktionstechniken. Dem dienten Biedenkopfs erfolgreiche Bemühungen, wissenschaftlich hochentwickelte Zugänge zur modernen Produktion nach Sachsen zu holen. Dem diente auch der Um- und Ausbau des Hochschul- und Forschungswesens in Sachsen. So wurde die erste Legislaturperiode ein erfolgreicher Beginn auf dem Weg zu einer wettbewerbsgesteuerten Wirtschaft und einer freiheitlichen Gesellschaft.

Doch auch der richtige Zugang erspart einem Land nicht den Weg durch Mühen und Schwierigkeiten mit den unvermeidlichen Folgen für die Stimmung im Land. Dazu traten Spannungen, die sich aus Biedenkopfs Versuch ergaben, auch für die Zukunft vorzusorgen und darum seine politische Nachfolge zu regeln. An solchen Versuchen, so nachvollziehbar sie sein mögen, sind bekanntlich schon viele gescheitert. Auch Biedenkopf musste erkennen, dass die Wege und Umwege einer freiheitlichen Gesellschaft nicht vorhersehbar oder gar steuerbar sind, sondern im hohen Maße von den jeweils Agierenden abhängen. Was Biedenkopf mit dieser Wahrheit wohl ausgesöhnt hat, ist nach seiner eigenen Aussage bei seinem 90. Geburtstag, dass der heutige sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer seinen Vorstellungen von seiner Nachfolge entspricht.

Schließlich musste der Katholik Kurt Biedenkopf in einem Land politisch agieren, dessen konfessionelle Beziehungen in nachreformatorischer Zeit durch das Handeln monarchischer Landesherren belastet wurden. Gewiss hat hier die atheistische Grundhaltung der bis zur Volkskammerwahl im März 1990 Regierenden so manche Spannung relativiert, wenn nicht sogar verschwinden lassen. Doch als sich zeigte, dass das erste Kabinett Biedenkopf mehrheitlich katholisch sein würde, ließ die evangelisch-lutherische Landeskirche dem künftigen Ministerpräsidenten ihr Erstaunen mitteilen. Biedenkopf hat sich nach meiner Kenntnis danach stets um ein gutes Einvernehmen mit dem Landesbischof bemüht und durch sein Verhalten erkennen lassen, dass er ihn als den protokollarisch besonders zu beachtenden kirchlichen Repräsentanten betrachtet.

Nun könnte man denken, dass dies dem manche Lebensregel seiner eigenen Kirche nicht beachtenden Katholiken Biedenkopf entgegenkam. Das glaube ich jedoch nicht. Kurt Biedenkopf hat sich stets der Sorgen der katholischen Kirche in Sachsen angenommen. Auch will ich ausdrücklich betonen, dass sich der Ministerpräsident niemals in meine Entscheidungen als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken eingemischt hat. Sachsen ist und bleibt aus geschichtlichen Gründen ein konfessionell schwieriges Pflaster. Doch Biedenkopf erwies sich bald als trittsicher. Denn er kannte die sächsische Geschichte – und die christlichen Kirchen konnten sich seines Respekts sicher sein. Gewiss ist kein Politiker ohne Fehl’ und Tadel. Doch Biedenkopfs Gang nach Sachsen war ein Glücksfall für dieses Land.

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