Hier sind die Fischbrötchen, da gibt’s die Bratwurst und da hinten ist der Badestrand.“ Mit diesen Worten scheucht der Reiseleiter seine Touristengruppe aus dem Bus. Für sie ist Göhren nur eine Station auf ihrem Rügen-Urlaub. Ein bisschen die Beine vertreten, in Strandkörben sitzen und am Abend gibt es noch ein Feuerwerk. Die Einheimischen beobachten das Treiben skeptisch. Manche erkennen ihre kleine Gemeinde zwischen all den neuen Hotels und Parkhäusern kaum wieder. So geht es auch Regisseur Christoph Eder, der selbst in Göhren aufgewachsen ist. Dreißig Jahre später muss er feststellen: „Wenn ich heute zurückkomme, ist vom Ort meiner Kindheit nicht mehr viel übrig.“ Was auf der Ostseeinsel passiert, ist eine Geschichte, wie sie sich überall auf der Welt abspielt. Reiche Investoren kaufen Grundstück um Grundstück, bis sie nicht nur das Stadtbild, sondern auch das alltägliche Leben prägen. Irgendwann stehen die Neubauten so eng, dass man das Meer nicht mehr sieht, und die Mieten steigen immer weiter. Die Einheimischen fühlen sich aus ihrem eigenen Ort verdrängt.
Mit Blasmusik gegen Investoren
Umso spannender ist es, diese große Geschichte auf eine kleine Inselgemeinde herunterzubrechen. Die Kamera ist dabei, wenn in Bürgerversammlungen um jede einzelne Parzelle gefeilscht wird, wenn Rentner Unterschriften sammeln, um die Freiflächen zu erhalten – und wenn die Bagger anrollen, um das nächste Hotel zu bauen. Fesselnder wurden Gemeinderatssitzungen selten in Szene gesetzt. Dabei macht der Film nie einen Hehl daraus, auf wessen Seite er steht. Immer wieder schneidet Eder Heimvideo-Sequenzen aus seiner Kindheit und Jugend in den Film, die klarmachen, wie nah ihm das Thema geht. Manche Ideen der Göhrener Aktivisten mögen etwas naiv sein – etwa wenn sie mit einem Blasmusikkonzert einen Neubau verhindern wollen –, trotzdem kommen sie deutlich besser weg als der westdeutsche Geschäftsmann, der Stück für Stück das Dorf aufkauft. Jetzt hat er es ausgerechnet auf ein unberührtes Hangstück abgesehen. Eine Gruppe von Göhrenern will es schützen – aus Liebe zu ihrer Heimat, aber auch aus Verantwortungsgefühl für die Schöpfung. Immerhin hat man von hier „den schönsten Blick, den uns der liebe Gott geschenkt hat.“ Damit startet eine Protestaktion, um dem Großinvestor aus Nordrhein-Westfalen Einhalt zu gebieten.
Kampf um den Gemeinderat
So ist die Dokumentation, dreißig Jahre nach der Wende, auch eine Geschichte über das Verhältnis zwischen Ost und West. Nach dem Mauerfall habe man Investoren aus der Bundesrepublik den roten Teppich ausgerollt. „Wie ist das denn mit dieser Demokratie, mit dieser Marktwirtschaft? Wir wussten das ja nicht“, erinnert sich ein Einheimischer. Inzwischen fühlen sie sich ausgenutzt von den Millionären, die in ihrem Badeort das große Geld machen, aber im Westen Steuern zahlen.
Und auch das Vertrauen in die Demokratie hat abgenommen, einige wittern Korruption. „Im Mikrokosmos Dorf bestehen Abhängigkeiten und Verstrickungen, die manchmal Jahrzehnte zurückliegen“, erklärt der Regisseur. Tatsächlich kommt es immer wieder zu Szenen, die zeigen, wie blank die Nerven in dem idyllischen Örtchen liegen. Ein Mitglied des Gemeinderats wird unter Gejohle aus einer Bürgerversammlung gejagt. Unbekannte verwüsten die Empfangshalle eines neuen Hotels. Irgendwann tritt der Bürgermeister zurück, weil er das Gefühl hat, dass er die Interessen der einfachen Bürger nicht mehr durchsetzen kann. Bei der anschließenden Wahl machen viele ihrem Zorn Luft: „Alles Deppen“ steht quer über einem Stimmzettel. „Noch einer“, kommentiert der Wahlhelfer trocken.
Zum Glück bleibt der Film nicht bei dieser düsteren Note stehen. Ein Göhrener geht mit Anfang 70 noch in die Politik. Zusammen mit seiner erwachsenen Tochter kandidiert er für einen Sitz im Gemeinderat, der bis jetzt die meisten Pläne der fernen Investoren durchgewunken hat. Der Wahlkampf wird zur Schlammschlacht, Anschuldigungen werden laut, die schließlich vor Gericht geklärt werden müssen. „Kommunalpolitik ist anstrengend und komplex“, bemerkt Regisseur Eder. „Aber wenn dir etwas wichtig ist, engagiere dich. Setze dich dafür ein und warte nicht so lange, bis es zu spät ist.“ Eine Botschaft, die so viel größer ist als ein Dorf auf einer Ostseeinsel.
„Wem gehört mein Dorf?“ ist aktuell im Kino zu sehen. Die Laufzeit beträgt circa 95 Minuten.