Im vierten Jahrhundert riskierten Christen noch Leib und Leben, um den Sonntagsgottesdienst mitzufeiern. Bekannt ist das Beispiel der Märtyrer im nordafrikanischen Abitina, die sich trotz eines staatlichen Versammlungsverbots zur Eucharistie trafen. Beim Verhör nach ihrer Festnahme erklärten sie: Sine dominico non possumus! – Ohne den Herrentag, den Sonntag also, können wir nicht sein, spirituell nicht überleben.
Auch in modernen Diktaturen, während des Nationalsozialismus und im Kommunismus etwa, gab es viele mutige Gläubige, denen der Sonntagsgottesdienst so heilig war, dass sie allen Gefahren zum Trotz im Namen Gottes zusammenkamen. Ebenso sind hier die heutigen Helden der chinesischen Untergrundkirche zu nennen.
Durchbrochene Routine
In unseren Breiten stellt sich das Ganze längst anders dar. Ging nach dem Zweiten Weltkrieg noch rund die Hälfte der Katholiken in den Sonntagsgottesdienst, waren es zuletzt nicht mal mehr sechs Prozent. Dieser Wert ist coronabedingt besonders niedrig, aber auch davor war er schon nicht mehr zweistellig.
Die Pandemie, da sind sich Fachleute einig, hat den Abwärtstrend beschleunigt. Ein Drittel der Gottesdienstteilnehmer ist „nach Corona“ nicht zurückgekommen. „Zum Kirchgang gehört oft auch eine gewisse Gewohnheit“, sagt der Religionssoziologe Detlef Pollack. Und diese Routine im guten Sinne ist durch das Virus unterbrochen worden. Menschen haben sich an ein „neues Normal“ gewöhnt – an einen Sonntag ohne Präsenzgottesdienst.
Wie soll man damit umgehen? „Die Kirchen können auf die zu erwartenden Rückgänge nur reagieren, indem sie ihre Gottesdienste noch einladender gestalten als sie das bisher schon tun“, meint Detlef Pollack. Und auch Papst Franziskus forderte zuletzt mehr „Kreativität“ bei der sonntäglichen Eucharistiefeier.
Neu gesucht: der Kern
Solche Appelle sind nicht falsch, aber sie gehen letztlich ins Leere. Denn wir hören sie ja seit Jahren oder gar Jahrzehnten. Und sind nicht die allermeisten Seelsorgerinnen und Seelsorger ernsthaft bemüht, würdig und ansprechend Liturgie zu feiern? An allen Ecken und Enden wird zudem Neues ausprobiert, um für die Menschen von heute und ihre Gewohnheiten besser anschlussfähig zu sein. Eine Trendumkehr auf breiter Front ist trotzdem nicht in Sicht.
Das ist schmerzlich für unsere Generation, die mit dem konzilsgeprägten Idealbild der sich versammelnden Gemeinde aufgewachsen ist. Aber vielleicht ist Gottesdienst für viele Menschen wirklich „nicht mehr das geeignete Format … um das Bedürfnis, aus dem heraus dieser Gottesdienst einst entstanden ist, zu befriedigen“, überlegt der Schweizer Theologe Stephan Jütte. Was ist dann der Kern unseres Christseins?