Nein, eine reine Theologen-Veranstaltung ist die Europa-Akademie für Religionen nicht. Das wird im Gespräch mit Akademie-Präsident Hans-Peter Großhans direkt betont. Auch Psychologinnen und Politikwissenschaftler sind nach Münster gereist, um Vorträge über die Rolle von Religion im 21. Jahrhundert zu halten. Es ist das erste Mal, dass die Akademie in Deutschland tagt, gegründet wurde sie vor vier Jahren. Vorbild ist die „American Academy of Religion“, die auf eine über hundertjährige Geschichte zurückblickt und mit rund 15000 Teilnehmern in den Vereinigten Staaten regelmäßig Mega-Events veranstaltet. Von solchen Zahlen ist man in Münster weit entfernt. Und auch sonst scheint die Veranstaltung für viele unter dem Radar zu liegen.
Religion – Fels in der Brandung?
In Europa greife eine Art „religiöses Analphabetentum“ um sich, Glaubensthemen seien für viele inzwischen eine Art Tabu-Thema, erklärt Großhans das fehlende Interesse einer breiten Öffentlichkeit. „Die Leute wissen häufig nicht einmal, was eigentlich die Mitglieder der eigenen Religion glauben und was der Sinn von Ritualen ist.“ Doch wer die eigenen religiösen Wurzeln nicht kennt, tut sich auch schwer, Toleranz für andere Glaubenswelten zu entwickeln, die in einem pluralistischen Europa inzwischen schon längst Teil des Alltags sind.
Schon der Titel der diesjährigen Europa-Akademie sorgt teilweise für Verwirrung. Die Veranstaltung steht unter dem Motto „Religion und Wandel“ – für manche ein scheinbares Oxymoron. „Es gibt den Eindruck, dass die Religionen inmitten des sich permanent wandelnden Zeitgeistes der Fels in der Brandung sind“, so Großhans. Religion als Garant des Status quo, von antiquierten Rollenzuschreibungen und Machtverhältnissen? Dieses Vorurteil greift zu kurz. In vielen Weltregionen war und ist die Kirche Vordenker in sozialen Fragen, treibt gesellschaftliche Debatten an, wird zur Kraft des Wandels.
In guter Tradition
Auch in Deutschland muss man nicht weit zurückgehen, um sich zu erinnern, dass die Kirchen einmal Treiber von gesellschaftlichen Entwicklungen waren. Schon in den 1970er-Jahren begannen sie, sich für ein neues Umweltbewusstsein einzusetzen. Damals war das eine kleine Sensation. Heute gibt es einen Papst, der Umweltenzykliken schreibt und den Mächtigen der Welt ins ökologische Gewissen redet. Wandel, Veränderung, Entwicklung waren immer schon christlich. Genauso christlich ist es, sich zu Diskussionen zu treffen und im fairen Austausch nach den richtigen Wegen zu suchen, den Glauben zu leben. Die Europa-Akademie steht also in einer guten Tradition. Verglichen mit dem großen amerikanischen Vorbild ist sie noch ganz am Anfang, aber sie kann wachsen – die Hoffnung bleibt. Auch das ist christlich.
Europa-Akademie für Religionen