Das Wesen der vielgescholtenen Esoterik ist die Spekulation am Rand der Wissensbestände und des Gedachten. Sie verflüssigt von dort aus das Erkennbare, sortiert die Erscheinungen anders, spielt mit ihnen und phantasiert. Als Verrücktheit gehört sie zum notwendigen Grundbestand menschlichen Denkens. Wenn dieses wach ist und verantwortlich, sollte es mit Unvorhersehbarem rechnen – und so ist es angewiesen auf Abenteuer jenseits des Realen.
Esoterik ist nicht ungefährlich, sie balanciert meist ungesichert in großer Höhe … Ihr wird zu Recht heftig widersprochen, wenn sie sich ideologisch verfestigt – und doch liegen in ihr wesentliche Kräfte der Erneuerung, und geistige Umbrüche zeigen sich oftmals zunächst im esoterischen Gewand.
Christian Lehnert in: „Ins Innere hinaus. Von den Engeln und Mächten“ (Suhrkamp Verlag, Berlin 2020)