Zum neuen CDU-Chef Armin Laschet„Glaube hat was Progressives“

Politik und Kirche – Antonius Hamers beobachtet beides genau. Mit dem Leiter des Katholischen Büros Nordrhein-Westfalen haben wir über christliche Parteien, eine Namensänderung und das „Konservative“ gesprochen.

© Foto: Nicole Cronauge

CiG: Der neue CDU-Chef Armin Laschet sang im Kirchenchor, war Messdiener, arbeitete in den neunziger Jahren als Chefredakteur einer Kirchenzeitung und als Geschäftsführer eines katholischen Verlags. Er soll auch den Wunsch gehabt haben, Priester zu werden…

Antonius Hamers: In seiner Biografie steht, dass er das als Jugendlicher mal überlegt hat. Andererseits ist er seit damals mit seiner Ehefrau zusammen, insofern hat er den Wunsch offensichtlich bald verworfen. Jedenfalls ist Laschet gläubiger Katholik.

CiG: Wie christlich ist die CDU denn noch?

Hamers: Das ist zunächst ein Anspruch, der eingelöst werden muss. Es hängt ganz wesentlich von den Leuten ab, die dort aktiv sind. Beim neu gewählten Vorsitzenden bin ich zuversichtlich, dass er die Partei durch seinen christlichen Glauben prägen wird.

CiG: Hat die evangelische Pfarrerstochter Angela Merkel die Partei christlich geprägt?

Hamers: Zumindest ist ihre christliche Haltung in einigen Entscheidungen deutlich geworden. Etwa 2015, als sie in einem einmaligen Entschluss die Grenzen für Geflüchtete geöffnet hat. Das hat ihr viel Kritik eingebracht, aber sie verteidigt es. Ein anderes Beispiel: Leuten, die Angst vor einer angeblichen Islamisierung unserer Gesellschaft haben, hat sie einmal gesagt: Lebt doch erstmal konsequent euren christlichen Glauben.

CiG: Und als sie durch einen Nebensatz den Bundestag dazu bewegt hat, über die Ehe Homosexueller abzustimmen – mit positivem Ergebnis?

Hamers:… da hat sie selbst dagegen gestimmt. Sie hat lediglich eine Diskussion darüber herbeigeführt. Übrigens sehe ich keinen Widerspruch zum christlichen Glauben darin, homosexuelle Partnerschaften zu akzeptieren.

CiG: Wie verbindlich ist das „C“ im Parteinamen denn noch?

Hamers: Es ist ein beständiger Auftrag. In Nordrhein-Westfalen hat die CDU unter Armin Laschet ein Grundsatzprogramm erarbeitet, in dem das „christliche Menschenbild“ ein wichtiger Aspekt ist. Ich sehe die Gefahr, dass das Christliche in Wahlkampfreden zur hohlen Phrase verkommt. Doch am christlichen Menschenbild muss sich eine „C“-Partei messen lassen.

CiG: Etwa von Ihnen?

Hamers: Ich bin nicht die Oberaufsicht über die CDU. Ich will auch keine amerikanischen Verhältnisse, wo Bischöfe sich darüber auslassen, ob Politikern die Kommunion verweigert werden soll, wenn sie Positionen gegen die Kirche vertreten. Aber als Christ schaue ich schon genau darauf, ob die Politik einer „C“-Partei dem Anspruch des Christlichen gerecht wird. Der Glaube sollte auch Maßstab politischer Entscheidungen sein.

CiG: Was genau ist denn christliche Politik?

Hamers: Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit, sagte der Sozialdemokrat Kurt Schumacher. Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee, heißt es bei Papst Franziskus. Diese Wirklichkeit muss aus dem Evangelium gestaltet werden. Im Mittelpunkt steht der Mensch: mit seiner Würde, seiner Freiheit, seinen Fähigkeiten, aber auch mit seiner Fehlbarkeit, seiner Gebrochenheit, seiner Hilfsbedürftigkeit. Darauf muss christlich verantwortete Politik reagieren, indem sie Freiheit ermöglicht und Verantwortung einfordert.

CiG: Das klingt aber noch nicht nach einem politischen Programm…

Hamers:… der Blick auf die Realität und auf den Menschen in seiner Widersprüchlichkeit bewahrt aber vor Ideologien. Politik ist nicht dafür da, den Himmel auf Erden zu schaffen. Das würde den Staat eher zur Hölle machen. Denken Sie nur an die scheinbar großen Verheißungen wie Kommunismus oder Faschismus. Christlich verstandene Politik beherrscht den Menschen nicht, sie traut ihm etwas zu, und zugleich lässt sie ihn nicht im Stich, wenn er der Hilfe bedarf. Auch alte, beeinträchtigte, kranke oder hilfsbedürftige Menschen haben ihren Platz. Allein dafür lohnt es sich, den Maßstab des Christlichen immer wieder in der Politik einzufordern. Und zugleich an die Begrenzung politischer Macht zu erinnern: Nicht wir erlösen die Welt, sondern Gott.

CiG: Braucht man für so eine Haltung denn eine „C“-Partei?

Hamers: Christlich verantwortete Politik kann man auch in anderen demokratischen Parteien gestalten. Ich begegne in meiner Arbeit vielen überzeugten Christen. Entscheidend ist tatsächlich der konkrete Bezug zum christlichen Glauben bei der CDU, der ihr so zum Maßstab wird.

CiG: Die Schweizer „Christlichdemokratische Volkspartei“ hat sich kürzlich in „Die Mitte“ umbenannt. 85 Prozent der Delegierten haben dem zugestimmt. Inwiefern könnte so etwas bei den „C“-Parteien in Deutschland passieren?

Hamers: Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen. Unsere Gesellschaft ist säkular, der Einfluss der großen Kirchen schwindet, wir werden langsam zu Minderheiten. Diese Entwicklung wird sich so schnell auch nicht umkehren. Eine Partei wie die CDU könnte sich fragen: Stört das Christliche vielleicht? Ist es noch opportun, das „C“ im Namen zu tragen? Christ zu sein steht mitunter quer zum Mainstream – seien es sozialethische Fragen wie die Bewahrung der Schöpfung oder der soziale Ausgleich, seien es individualethische Fragen wie der Schutz des Lebens oder der Familie. Damit tun sich auch in der CDU manche schwer. Christliche Positionen können mitunter eben lästig sein.

CiG: Wäre es in einer modernen Demokratie klüger, wenn christliche Politiker ihre religiösen Überzeugungen für sich behalten?

Hamers: Nein. Wir sind eine plurale Gesellschaft. Nach Artikel 4 des Grundgesetzes hat jeder das Recht, seine Religion öffentlich zu leben. Christsein ist nie nur Privatsache, sondern Auftrag, sich zu bekennen. Ich wünsche mir mehr Politiker, die zu ihrer christlichen Überzeugung stehen. Befremdet hat mich in der Diskussion um Weihnachtsgottesdienste in der Corona-Zeit, dass mir CDU-Politiker gesagt haben: Ich gehe nicht zum Weihnachtsgottesdienst, weil ich das jetzt für politisch unklug halte.

CiG: Einige fordern, die CDU müsse „konservativer“ werden. Hieße das, sich auf das Christliche zu besinnen?

Hamers: Christlich ist nicht per se konservativ. Der christliche Glaube hat ja auch was Progressives, wenn es darum geht, Strukturen, die dem Menschen nicht gerecht werden, zu überwinden. Zugleich lebt der christliche Glaube aus seinen Traditionen, um auf die Wirklichkeit zu reagieren. Insofern ist er auch konservativ. Wer aber meint, die Vergangenheit um ihrer selbst willen zu bewahren, ist reaktionär. Und das ist mit dem Anspruch des Christlichen nicht vereinbar.

Antonius Hamers

Antonius Hamers, geb. 1969, leitet seit 2014 das Katholische Büro in Düsseldorf, die Vertretung der Kirche bei der Landesregierung Nordrhein-Westfalen. Er ist Priester des Bistums Münster.

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