Erschreckende Daten zur Lage des Glaubens hat jüngst ein Meinungsforschungsinstitut vorgelegt: Demnach sagen fast zwei Drittel der Deutschen, dass Religion ihnen persönlich „überhaupt nicht wichtig“ beziehungsweise „nicht wichtig“ ist. Nur ein Drittel äußerte sich positiv. Von den jungen Erwachsenen antworteten viele überhaupt nicht. Der Befund müsste die Christen in Alarmstimmung versetzen. Doch die Kirchen bleiben stumm. Sie betreiben Business as usual, selbst durch Corona kaum irritiert. Vor gewaltig gelichteten Reihen werden sonntags Gottesdienste „gefeiert“, als sei nichts passiert. Keine Erschütterung, keine Gewissenserforschung, keine Buße, keinerlei Unterbrechung, als gäbe es die epochale Religionsdämmerung nicht. Selbst infolge der Katastrophe des sexuellen Kindesmissbrauchs werden nur wieder die uralten Unterhaltungsthemen in Dauerschleifen aufgetischt: Zölibat, Frauenpriestertum, Autoritätsausübung, Sex. Als ob es dem Liberalprotestantismus ohne die katholischen Sonderproblemzonen besser ginge.
Der Abgrund
Das Binnenkirchentum aber interessiert die Vielen, die nicht (mehr) glauben können, einen Hauch religiöser Nachdenklichkeit eventuell jedoch bewahrt haben, keinen Deut. Wer steigt mit ihnen – und mit den eigenen Zweifeln – hinab in den existenziellen Abgrund, um auf dessen Grund auszuleuchten, warum Gott kulturell keine Rolle mehr spielt? Ist die Unruhe über das Woher und Wohin, Materie und Geist, Endlichkeit und Unendlichkeit im ungläubigen Staunen über dieses mysteriöse – und nicht bloß rätselhafte – Universum wirklich erloschen? Oder fehlt es einzig an innovativer Kraft, um das schwierige Nachdenken zu inspirieren? Wo sind die sokratischen Hebammen, die zusammen mit den Leuten fürs Selber-Fragen und Selber-Erkennen mutig hinabsteigen ins Dunkle des Mysteriums von Sein, Werden und Vergehen, um es als Dunkles auf paradoxe Weise zu lichten?
Die Weisheit auf dem Areopag
Mehr noch: Wo sind die geistlichen Hebammen, um die schwere Gottesgeburt, die jeder einzig für sich vollziehen kann, zu unterstützen? Wer bringt im großen Vergessen die Vergessenden auf die Spur des UNBEKANNTEN GOTTES? An ihn hatte Paulus die weisen Athener, die mit einem Altar zumindest baulich seine Möglichkeit festhielten, erinnert. Paulus hat die Spötter nicht gescheut, die sich über seine Hoffnung Auferstehung belustigten. Der UNBEKANNTE ist in vielfachem Widerspruch zur heutigen wissenschaftlich geprägten Welterfahrung allerdings kirchlich-dogmatisch korrekt zum Altbekannten domestiziert, minimiert worden. Da liegt das Problem. Energiereichste Geistesmacht bräuchte es zur großen Unterbrechung: für uns wie für jene, die gern glauben würden, wenn sie nur glauben könnten. Kirche – das sind doch wir – wach auf!