Was in den letzten Wochen in Österreich offenbar wurde, ist unglaublich. Überraschen darf es jedoch niemand: Der erfolgsverwöhnte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP, die türkise, nicht die schwarze) ist tief gefallen und mit seinen erst 35 Jahren nun schon zum zweiten Mal Altkanzler. Vermutlich wird es aus der ebenfalls angeschlagenen CDU nun nicht mehr laut vernehmlich seufzen, dass man halt auch einen „deutschen Sebastian Kurz“ brauche.
Drittel-Rücktritt
Nach Vorwürfen der Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit, wonach Kurz 2017 mithilfe geschönter Umfragen und vom Steuerzahler bezahlter Inserate an die Spitze der ÖVP hochmanipuliert worden sein soll, hat das „Wunderkind“ („New York Times“) dreierlei bekannt gegeben: Kurz gibt das Kanzleramt auf. Er bleibt aber Parteivorsitzender. Er möchte künftig den ÖVP-Club im Nationalrat (vergleichbar der deutschen Bundestagsfraktionen) führen. So ein Drittel-Rücktritt wäre in Deutschland undenkbar. Entsprechend nennt SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner das Schauspiel auch „eine Farce“.
So weit, so haarsträubend. Aber in einem Land, das Korruption verniedlichend „Freunderlwirtschaft“ nennt, wäre es nur die logische Folge der Perversion von Macht und Politik, wenn sich eine Clique Kurz-höriger Aufsteiger die toxische Symbiose aus Politik und Medienwirtschaft zunutze macht, um politischen Erfolg zu kaufen. Wenn die Vorwürfe stimmen, „dann ist Ibiza eine kleine Insel im Mittelmeer“, kommentierte gewohnt eloquent Österreichs oberster Politikerklärer, der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier, in Anspielung auf die Ibiza-Affäre, die vor zwei Jahren Österreichs Regierung weggefegt hatte.
Eine Frage der Grundhaltung
Einer aktuellen Umfrage der „Kronen Zeitung“ zufolge verliert die ÖVP nun über zehn Prozent gegenüber dem Nationalratsergebnis von 2019. Sie steht jetzt bei 26 Prozent und damit immer noch auf Platz 1 in der Bürgergunst.
Das ist das, was man wissen muss über die Grundhaltung in Österreich, das sich die Zweite Republik feinsäuberlich und gründlich nach Schwarz und Rot aufgeteilt hat, wo Parteipräferenzen und Proporz Karrieren förderten, verhinderten und irgendwann ein ganzes Land lähmten. So werden Rebellen, die gegen das System ankämpfen, zu Helden: Nur so erklärt sich der Erfolg eines Jörg Haider (FPÖ) ab den späten Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, aber auch der steile Aufstieg des Sebastian Kurz. Kurz wird in Österreich gottgleich behandelt, weil er mit der ÖVP eine ganze Partei gekapert, umgefärbt und zu einem Sensationserfolg geführt hat.
Denn „nix is ja fix“, und so schlimm wird es ja auch nicht gewesen sein, und die ganze Welt ist ja stolz auf „unseren Wunderwuzzi“. Der türkise Teppich bleibt ausgerollt.