„Wie schön wäre es zu glauben!“ Mit diesem Satz beginnt Ihr Buch. Haben Sie es für Menschen geschrieben, die nicht mehr glauben können?
Es ist ein Buch für all jene, die unruhig und unzufrieden sind mit der Art, wie wir die Gottesfrage ausgeblendet oder Gott festgelegt haben. Für Leute, die tiefer graben möchten. Die nach einer neuen Plausibilität Gottes suchen. Für alle, die nachdenklich geworden sind, ob das, was wir sehen, alles ist. Ob es da noch mehr gibt.
Was hat den Blick auf die Gottesfrage verändert?
Wir stellen fest, dass seit dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren – wenn es diesen Urknall gegeben hat – alles in Bewegung und Veränderung ist. Alles, was wir heute haben, bis zu den kleinsten Teilchen, ist nicht so im Urknall entstanden. Das heißt: Die gesamte Welt, auch die physikalische, ist heute eine andere Welt, als sie damals war. Seit diesen 13,8 Milliarden Jahren war und ist alles in einem ständigen Werde- und Umwandlungsprozess. Auch das, was heute ist, wird nicht auf immer und ewig so sein. Die Realität verändert sich ständig, und das betrifft auch die Gotteserfahrung.
Über Milliarden von Jahren hinweg hat es nichts gegeben, was Gott denken oder an Gott denken konnte. Es gab überhaupt keine Möglichkeit, Gott zu denken. Und wir wissen auch nicht, wie es in Zukunft sein wird, wenn es die Erde und unser Sonnensystem in Milliarden von Jahren nicht mehr gibt. Was ist dann los mit Gott? Das sind Fragen, die uns einerseits erschrecken und andererseits auch faszinieren.
In der Kirche hört man von diesen Dimensionen selten.
Mein Eindruck ist, dass wir zurzeit mit Kirchenthemen überhäuft werden. Aber niemand redet über die Themen, die die Leute wirklich interessieren. Dabei ist die religiöse Frage die spannendste Frage auf der Welt. Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was geschieht, wenn wir tot sind? Woher kommt diese Welt? Gibt es Gott vielleicht doch?
Und wenn ja – welchen? In Ihrem Buch machen Sie sich ja auf die Spur des unbekannten Gottes. Wie ist das zu verstehen?
Wir tun immer so – gerade auch kirchlich –, als wenn wir Gott „in der Tasche“ hätten. Wir tun so, als ob er wie ein Subjekt oder Objekt wäre. Aber Gott ist ganz anders, und das zeigt sich seit eh und je in der Menschheitsgeschichte. Für mich gibt es eine Schlüsselszene in der Apostelgeschichte: Da wandert Paulus über den Areopag und sieht neben den vielen Altären einen Altar, den die Athener einem unbekannten Gott gewidmet haben. Wo haben wir Christen, die wir so viele Altäre für Gott errichtet haben, unseren Altar für den unbekannten Gott? Das ist das eigentlich Spannende. Immerhin heißt es im Johannesevangelium: „Niemand hat Gott je gesehen“ (Joh 1,18). Also leben wir ganz wesentlich mit dem unbekannten Gott, und auf der anderen Seite, wie es im Kolosserbrief heißt, mit Christus als der Ikone des unsichtbaren Gottes (vgl. Kol 1,15).
Jesus ist eine Art Fixpunkt. Wird der unbekannte Gott damit greifbarer?
Man könnte „Ikone“ auch mal anders übersetzen, nicht als Bild, sondern als Spur. Als Leuchtspur des unbekannten Gottes. Wir haben Gott auch nicht in Christus, aber wir werden von Christus auf die Spur gebracht.
Gott bleibt also unergründlich. Können Sie verstehen, wenn Menschen Angst haben, Ihr Buch zu lesen, weil sie befürchten, ein Stück ihrer Glaubenssicherheit zu verlieren?
Wenn man sich mit solchen Fragen beschäftigt, kann man nur gewinnen. Ich habe das Buch geschrieben, um Gott in einer evolutiven Welt für ein modernes Christsein neu zu gewinnen. Der Horizont des Glaubens weitet sich in dem Maße, je mehr wir uns auch mit den kritischen Fragen auseinandersetzen.
Natürlich geht es dabei um die Praxis des Christseins. Was heißt das für unser Leben, für unser Lebensgefühl heute? Glauben ist ja nicht nur eine rationale Angelegenheit, sondern eine emotionale. Wir leben von Gefühlen, ganz wesentlich. Die Gefühle beginnen vor aller Rationalität. Ich rede gerne von diesem ungläubigen gläubigen Staunen. Der Schlüssel zu allem ist das reale Mysterium. Nicht nur die Rätselhaftigkeit dieser Welt, sondern das Mysterium. Diese Welt ist ein Geheimnis. Und in diesem Geheimnis, auf dem Grund dieses Geheimnisses, ist das Geheimnis Gott. Ich bin vertrauensvoll, dass Gott nicht mit dem Universum zu Ende ist und das Universum auch mit Gott nicht zu Ende ist, auch nicht mit dem Menschen zu Ende geht. Und ich bin sehr hoffnungsvoll, dass das religiöse Fragen nicht erlischt.
Das Staunen führt wieder zum Glauben?
Die großen religiösen Fragen der Menschen begannen immer im Spannungsbogen zwischen Geburt und Tod, zwischen dem Zeitpunkt, als noch nichts war, und dem Zeitpunkt, ab dem nichts mehr ist. Was wird sein, wenn nichts mehr ist? Da gibt es ja die Liedzeile von John Lennon: „Imagine, there’s no heaven.“ – „Stell Dir vor, es gibt keinen Himmel.“ Nur den kosmischen Himmel, sky. Keine Religion, kein Gott.
Ich sage umgekehrt: Stell Dir vor, es gibt den Himmel wirklich, den göttlichen Himmel. Den Himmel des ewigen Lebens, den Himmel der Auferstehung, und den halte ich für eine starke Plausibilität. Allein durch die Tatsache, dass wir hier sind. Dass nach 13,8 Milliarden Jahren überhaupt etwas ist und noch ist. Diese Logik, dass etwas da ist, was eigentlich gar nicht da sein müsste, ist für mich ein gewisser Hinweis, dass dann auch etwas sein könnte, wenn wir meinen, dass nichts mehr ist. Das heißt: Das ewige Leben, Auferstehung, hat einen guten Grund.
Das klingt hoffnungsvoll.
Das letzte Kapitel meines Buches heißt „Vergesst die Hoffnung nicht“.