„Was ist das eigentlich für ein seltsamer Gott?“

Die Juristin Beatrice von Weizsäcker und der Theologe Norbert Roth schreiben über die Orte, an denen sie Gott neu erfahren haben.

Es gibt Bücher von zwei Autorinnen oder Autoren, die sind Patchwork-Stücke in dem Sinne, dass sie mehr work und weniger patch sind. Sie sind zwar zwischen zwei Buchdeckel gepackt, aber ansonsten haben sie wenig miteinander zu tun. Und es gibt Bücher, bei denen tatsächlich auch work dahintersteckt, sehr viel möglicherweise sogar, bei denen aber selbst unterschiedlichste Teile harmonieren und zu einem einzigen wunderbaren Klang werden. So ein Buch haben Beatrice von Weizsäcker und Norbert Roth vorgelegt.

Liegt diese gelungene Komposition daran, dass beide begeisterte Musiker sind, Chorsängerin und Orgelspieler, an dem natürlichen Gefühl für Harmonie, für miteinander in Schwingung geraten, wie kommunizierende Röhren zu sein? Vielleicht. Liegt es an der Freundschaft der beiden, die in dunklen Stunden gewachsen ist? Bestimmt. Oder beides – und dazu und nicht weniger am gemeinsamen Suchen und Sehnen, Tasten und Ahnen, Feiern und Lachen und Weinen mit und um Gott. Eine Spiritualität, nein, das Wort lehnen die beiden als zu inflationär ab… Verbindend ist ein Glaube, den Weizsäcker so definiert: „Ich vertraue auf meinen Glauben.“ Und es sind natürlich die Haltepunkte: Rom, Jerusalem, Berlin, München sowie Klöster (bei Beatrice von Weisäcker Sankt Ottilien und Norbert Roth Heiligenkreuz).

Die beiden nehmen uns mit an diese Orte und erzählen von ihren Erfahrungen. Die Schilderungen sind mal leise, wenn es zum Beispiel um die Stille in Sankt Ottilien geht, und zugleich laut, wenn es nämlich wieder im Kloster um den inneren Lärm geht, wenn wir zu uns finden, wenn ein Satz aus der Bibel die Grundfesten erschüttert und Gewissheiten wegfegt, in einer Flut aus Tränen und Träumen. Andere Schilderungen sind hart, wenn zum Beispiel von Weizsäcker über den Mord an ihrem Bruder Fritz in Berlin schreibt und ruft, nein schreiend den Untertitel des Buchs heraushämmert: „Was ist das eigentlich für ein seltsamer Gott? Alles hat seine Stunden, selbst die Zeit zum Töten?“ Oder wenn Roth gesteht: „Ich fürchte, ich habe den Psalm („Meine Seele dürstet“, Anm. d. Red.) damals mehr für mich gebetet als für Manuel. Weil ich so eine Scheißangst vor dem Sterben habe. Nein, nicht nur vor meinem…“ Und bisweilen sind Szenen wunderbar weich, „babyvogelfederweich“.

Solche Szenen sind glänzend geschrieben, aber eben nicht nur als reine Schilderungen und schon gar nicht als Seelen-Striptease. Sie sind alles andere als das. Sie regen zum Weiterlesen an und führen subtil in existenzielle und theologische Fragen ein. In Rom und Jerusalem solche nach Gnade und der Kirche, mutig und kreativ, und so inspirieren sie, vom Weiterlesen zum Weiterdenken überzugehen. Was macht ein Sakrament zum Sakrament? Wo findet man die eigene Berufung – und was für eine Rolle spielt denn dieser Jesus in meinem Leben? Fragen, auf die beide antworten, aber nie aufdrängend, sondern mit einer feinen Zurückhaltung, die selbst hinter augenscheinlich harten Begriffen und Sätzen steckt. Und die dieses Buch hoffentlich auch für viele Leserinnen und Leser zu dem macht, was Beatrice von Weizsäcker so ausdrückt: „Dieses Buch handelt von Haltepunkten, aber damit sind nicht nur Orte gemeint. Auch dieses Buch selbst ist solch ein Haltepunkt für mich.“

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von Weizsäcker, Beatrice / Roth, Norbert

HaltepunkteGott ist seltsam, und das ist gut.

(Verlag Herder, Freiburg 2021, 272 S., 22 €)

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