Zu viel Kirche, zu wenig Jesus

Zwei Jahre nach „Ausgeheuchelt“ legt der Münsterländer Pfarrer Stefan Jürgens nach. Er kritisiert, fordert Reformen – und zeigt, wie man „trotz der Kirche“ glauben kann.

Reformen hält Stefan Jürgens zwar für dringend notwendig, aber der Pfarrer zweier Gemeinden in Ahaus hat kaum Hoffnung, dass sie auch wirklich kommen. Zu viel Kirche, zu wenig Jesus: Auf diese Kurzformel lässt sich seine Kritik bringen. In diesem neuen Werk schlägt der viel gelesene Autor aus dem Westmünsterland eine ähnliche Richtung ein wie in „Ausgeheuchelt“, seinem Buch vom Herbst 2019, das drei Wochen auf der „Spiegel“-Bestsellerliste stand. Der Seelsorger tadelt etwa zu viel Selbstbeschäftigung und eine „Unterleibstheologie“, bemängelt vor allem aber den Klerikalismus, den er für eine „Ursünde der Kirche“ hält. So mancher, der frustriert ist und auf Reformen drängt, dürfte dem meinungsstarken Autor zustimmen, auch wenn seine Diagnose reichlich negativ ausfällt.

So hält der Pfarrer den Synodalen Weg bereits jetzt für gescheitert, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken für brav und kompromisslerisch – und zu den Vorgängen um den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki schreibt er, diese Form der Kirche sei zum Sterben verdammt. Sie erinnert ihn an diktatorische Führungsstile.

Längst hielten viele in den Bistümern einen Bürokratieabbau für nötig. „Trotzdem werden weiter mehr Menschen eingestellt: Verwaltungsdirektoren zur Entlastung des Generalvikars, persönliche Referenten zur Entlastung des Bischofs, ein ganzes Heer von Journalisten für die bischöfliche Hofberichterstattung“, schreibt der Priester und spielt damit offensichtlich auf sein Heimatbistum an. Markige Vergleiche findet er zur römischen Kurie, die nach seiner Darstellung dem Hof eines Monarchen, einer kommunistischen Parteizentrale und den Familienstrukturen der Mafia ähnelt.

Es ist eine geballte Kritik, die von der Sache her in vielen Punkten berechtigt sein mag, aber im Ton bisweilen überzieht. Niemals jedoch, beteuert Jürgens, würde er aus der Kirche austreten. „Ich verdanke ihr meinen Glauben, meine frühesten Erfahrungen mit Gott.“ Zuerst kommt für ihn Jesus, dann die Kirche. Folgerichtig meint er, das Evangelium müsse vor dem Kirchenrecht stehen.

Die hinteren Kapitel enthalten weniger Polemik; sie wirken wie ein Ratgeber. Da schreibt Jürgens, wie er seinen Glauben lebt und was er den Leserinnen und Lesern zum täglichen Gebet empfiehlt. Das wirkt authentisch, ist geprägt von persönlichen Erlebnissen. Der Pfarrer formuliert erfreulich verständlich, anschaulich und mit kurzen Sätzen in einer Sprache, die frei von Floskeln ist, was ja längst nicht auf alle theologischen Bücher zutrifft. Konkrete Ratschläge listet der Autor griffig am Ende der Kapitel auf. Es sind Anregungen, die sich mit Gewinn lesen lassen, auch und gerade von jenen, die voller Enttäuschung mit dem Kirchenaustritt liebäugeln.

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Jürgens, Stefan

Dranbleiben! Glauben mit und trotz der Kirche

(Verlag Herder, Freiburg 2021, 223 S., 20 €)

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