Wohl wahr: Drum glaub ich an Wunder, weil ich noch am Leben bin; doch macht mir der ganze Plunder der Gottgläubigkeiten kein’ Sinn./Kein Gott! Mich rettete Glück nur in zwei deutschen Diktatur’n; ’s war Massel im Schurkenstück nur, als wir durch die Höllen fuhr’n. /Die Gläubigen wissen: Wir glauben! Ich umgekehrt glaub, dass ich weiß, solang noch dem Wolf süße Trauben ins Maul auch wachsen als Greis./Ja, Weintrauben hab ich genossen, zerbissen, geschlungen. Und falls es passt, mit paar Freunden gegossen als Rioja-Wein mir in den Hals. /Mein’ Rotwein schluck ich gern mit Frommen; dann segnet ihr Herrgott auch mich. Doch wenn die in’ Himmel kommen, dann sag ich: Nee danke, ick nich!“
Ein Zeitzeuge erzählt
Diese bislang unveröffentlichten, prägnanten Gedichtworte schrieb Wolf Biermann der Gemeinschaft der katholischen Sankt-Paulus-Schule in Billstedt ins Stammbuch. Mit dem Zusatz: „Im Goldenen Herbst 2021, da es den Deutschen schlecht ging – allerdings viel besser als in den letzten Tausend Jahren.“ Kurz vor seinem 85. Geburtstag teilte der Dichter und politische Rebell aus Hamburg seine bewegende Biographie erzählerisch und an der Gitarre mit den Schülerinnen und Schülern: Die Kindheitserinnerungen an die Nazidiktatur, den Weg als überzeugter jugendlicher Kommunist in die DDR, die 12 Jahre Auftritts-, Publikations- und Reiseverbot in der sozialistischen Diktatur, das Konzert im November 1976 in Köln kurz vor seinem 40. Geburtstag (als er ein Jahr älter wurde als sein in Auschwitz ermordeter Vater). Die Ausbürgerung aus der DDR drei Tage nach diesem Konzert, die Rückkehr nach Hamburg. Was für ein Zeitzeuge der deutschen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts!
„Schutzengel“ am Bühnenrand
Biermann zeigte Fotos vom Kölner Konzert 1976 und betonte, eine Handvoll Lieder weggelassen zu haben, die in den Ohren der SED-Bonzen am schlimmsten geklungen hätten; denn nur dadurch sei der Proteststurm in der DDR gegen die Aberkennung seines Aufenthaltsrechts möglich gewesen, der ein Vorgeschmack der „Friedlichen Revolution“ werden sollte. Der Liedermacher zeigte auf eine Stelle an der Bühnenrampe, wo er „auf einer Wolke von Auschwitz“ seinen Vater zu erkennen meinte. „Er sorgte damals dafür, dass ich inmitten eines Konzertrausches eben nicht die Lieder zum Besten gab, deren Aufführung verhindert hätten, dass ich in der Folge eine beispiellose Solidarität in der DDR erfahren durfte.“
Gern hätten wir Wolf Biermann noch gefragt, ob nicht diese Anekdote für ihn als bekennenden Atheisten ein Bekenntnis zu einer Art Schutzengel darstelle; aber da entschwand er schon. Sein letzter Ratschlag: Täglich neu Mensch werden – und nicht ein Schweinehund.