Im Lauf der nächsten Wochen werden mehrere Holocaust-Überlebende im Prozess gegen eine 96-Jährige aussagen, die bis April 1945 als Sekretärin im KZ Stutthof gearbeitet hat. Einige melden sich per Videoschalte zu Wort, andere nehmen die Anreise auf sich. Sie werden empfangen von einer Öffentlichkeit, die wenig Interesse an dem Fall hat und in der offen die Frage gestellt wird, ob es einen solchen Prozess nach all der Zeit noch braucht.
Der Politikredakteur Ronen Steinke hat hier eine klare Meinung. „Es bedeutet nicht Härte, wenn man heute die grundlegendste rechtsstaatliche Regel, dass dieses Verbrechen mit der höchsten Strafe geahndet wird, mit vielen Jahren Verspätung doch noch ernst genommen sehen möchte“, schreibt er in der Süddeutschen Zeitung. Bis heute sei der Holocaust oft ein blinder Fleck für die deutsche Justiz. „Die Regel ist: Wenn ein Mensch einen anderen tötet, dann ist das Mord; wenn aber ein paar Hundert Menschen eine rassistische Tötungsfabrik betreiben, ist fast keiner von ihnen ein Mörder, die Verantwortung diffundiert sozusagen gnädig in der Luft.“