Die Kirche ist kein Selbstzweck. Sie hat den Auftrag, den befreienden und liebenden Gott Jesu Christi allen Menschen zu verkünden. Das kann sie nur, wenn sie selbst ein Ort und eine glaubwürdige Zeugin der Freiheitsbotschaft des Evangeliums ist. Ihr Reden und Handeln, ihre Regeln und Strukturen – ihr ganzer Umgang mit den Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche – stehen unter dem Anspruch, die Freiheit der Menschen als Geschöpfe Gottes anzuerkennen und zu fördern. Unbedingter Respekt vor jeder menschlichen Person, Achtung vor der Freiheit des Gewissens, Einsatz für Recht und Gerechtigkeit, Solidarität mit den Armen und Bedrängten: Das sind theologisch grundlegende Maßstäbe, die sich aus der Verpflichtung der Kirche auf das Evangelium ergeben. Darin wird die Liebe zu Gott und zum Nächsten konkret.
Die Orientierung an der biblischen Freiheitsbotschaft schließt ein differenziertes Verhältnis zur modernen Gesellschaft ein: In mancher Hinsicht ist sie der Kirche voraus, wenn es um die Anerkennung von Freiheit, Mündigkeit und Verantwortung der Einzelnen geht; davon kann die Kirche lernen, wie schon das Zweite Vatikanische Konzil betont hat. In anderer Hinsicht ist Kritik aus dem Geist des Evangeliums an dieser Gesellschaft unabdingbar, etwa wo Menschen nur nach ihrer Leistung beurteilt werden, wo wechselseitige Solidarität unter die Räder kommt oder die Würde des Menschen missachtet wird.
Aus dem „Memorandum von Theologieprofessoren und -professorinnen zur Krise der katholischen Kirche“, das vor zehn Jahren – am 4. Februar 2011 – veröffentlicht wurde.