Joe Biden ist Präsident, Donald Trump hat sich zurückgezogen. Der Spuk der rechten Umsturzfantasien scheint vorbei – Amerika auf dem Weg der Heilung. Und ausgerechnet jetzt gießt der Vorsitzende der US-Bischofskonferenz neues Öl ins Feuer. Nur wenige Stunden nach Bidens Amtsantritt verkündete José Horacio Gómez, Erzbischof von Los Angeles, dass der neue Präsident der Vereinigten Staaten „moralische Übel mit sich bringen“ werde. Seine Politik „greift fundamentale Werte an, die uns am Herzen liegen“. Konkret ging es um die Bereiche Abtreibung, Verhütung, Ehe und Gender, bei denen Biden sich deutlich liberaler positioniert als sein Amtsvorgänger. Frauen sollen mehr Entscheidungsfreiraum für Schwangerschaftsabbrüche bekommen, Homosexuelle vor Diskriminierung geschützt werden.
Mehrere Bischöfe reagierten irritiert auf den Vorstoß ihres Vorsitzenden, zumal sie das Schreiben selbst erst kurz vor Veröffentlichung erhalten hatten. Andere schlossen sich Gómez’ Meinung an. Besonders ein Gesetz, mit dem die neue Regierung die Chancen von sexuellen Minderheiten auf dem Arbeitsmarkt erhöhen will, sorgte für Protest. Indem er verbiete, homo- oder transsexuelle Bewerber auszuschließen, schränke Biden die Religionsfreiheit ein, so der Vorwurf. Der – nach John F. Kennedy – zweite Katholik im Amt stehe für den moralischen Bankrott der USA.
Kurios sind diese deutlichen Worte nicht nur, weil sich die Bischöfe damit deutlich anders positionieren als Papst Franziskus, der Biden als einer der Ersten zu seinem Sieg gratulierte. Die plötzliche Welle der politischen Empörung macht zusätzlich deutlich, wie still die Bischöfe in den vergangenen vier Jahren waren. Als Donald Trump Flüchtlingsfamilien auseinanderriss, ganze Bevölkerungsgruppen zu Verbrechern erklärte und durch seine unbedachte Corona-Politik die Gesundheit unzähliger Amerikaner aufs Spiel setzte, hielten sich die US-Bischöfe meist zurück. Dass jetzt, wo es um Diskriminierungsverbote und neue Verhütungsgesetze geht, plötzlich eine moralische Grenze übertreten sein soll, ist ein Hohn. Die katholische Kirche der USA reiht sich mit ihren düsteren Untergangswarnungen ein in die Reihe der evangelikalen Kirchen, die Trump entweder als konservativen Verbündeten schätzten oder als politischen Messias feierten und dabei über jede persönliche oder politische Ungeheuerlichkeit hinwegsahen. Keine gute Gesellschaft.