In diesem Jahr konnte das Erzbistum Freiburg sein 200-jähriges Bestehen feiern, ein bisschen zumindest, denn der eigentliche Jubiläumstag ist mit dem 21. Oktober 1827 die Amtseinführung des ersten Freiburger Erzbischofs. In einer päpstlichen Bulle waren bereits 1821 mit der Begründung der Oberrheinischen Kirchenprovinz die Grenzen des künftigen Erzbistums und sein Metropolitansitz in Freiburg festgelegt worden.
Dieses „kleine“ Jubiläum hat Werner Wolf-Holzäpfel, Architekt und Leiter des erzbischöflichen Bauamts Heidelberg, zum Anlass genommen, mit seinem opulent bebilderten Band „Kirchen Raum Kunst“ einen Überblick über die wichtigsten Kirchenbauten der letzten 200 Jahre im deutschen Südwesten zu bieten. Das ist ausgesprochen verdienstvoll, da Kirchen aus dieser Zeit im öffentlichen Bewusstsein meist ebenso wenig wie in Reiseführern eine hervorgehobene Stellung einnehmen.
Ähnlich unübersichtlich wie die Gründungsgeschichte des Bistums ist auch seine Kunstgeschichte: Die Erzdiözese Freiburg umfasste zur Zeit ihrer Gründung kein einheitliches Gebiet, sondern Teile des Bistums Konstanz und anderer Bistümer, einige Regionen waren zudem evangelisch – eine einheitliche Bautradition war also nicht vorhanden. Immerhin entsprach das Territorium des Bistums dem des Herzogtums Baden, dazu kamen noch die beiden hohenzollerischen Fürstentümer, die auch in baulicher Hinsicht eine Sonderrolle einnahmen.
Konnte die neue Bautätigkeit im Erzbistum Freiburg zwar nicht auf einer eigenständigen „Kulturlandschaft“ aufbauen, so sind hier doch nicht nur zeittypische, sondern auch im wahrsten Sinne hervorragende Bauten entstanden, und es ist die große Leistung des Buchs von Wolf-Holzäpfel, die wichtigsten dieser Bauten in einen kunsthistorischen Kontext einzuordnen und exemplarisch vorzustellen (zu großen Teilen mit Bildern der Fotografin Dorothea Burkhardt).
Das Buch unternimmt einen Rundgang durch 200 Jahre Kirchenbau- und Ausstattungsgeschichte, angefangen bei der durch den herzoglichen Baudirektor in Karlsruhe, Friedrich Weinbrenner, geprägten klassizistischen Architektur. Im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts läutete der Leiter der badischen Bauverwaltung Heinrich Hübsch einen Stilwandel hin zu einem mehr romantischen Rundbogenstil ein, fand aber (zum Beispiel beim Bau des Konstanzer Münsterturms) auch zu gotischen Bauformen. Zu dieser Zeit lag die kirchliche Bauverwaltung noch fest in staatlicher Hand, erst 1863 konnten zwei Erzbischöfliche Bauämter gegründet wurden, eines in Freiburg und eines in Karlsruhe. Die kirchliche Baukultur im Erzbistum blieb seitdem dezentral: Heute gibt es kirchliche Bauämter in Freiburg, Heidelberg und Konstanz.
In den folgenden Jahrzehnten erfolgte der Kirchenbau ganz im Geiste des Historismus in unterschiedlichen Baustilen. So orientiert sich die Herz-Jesu-Kirche im Freiburger Stadtteil Stühlinger eher an der rheinischen Romanik, während etwa die vom selben Architekten Max Meckel erbaute, reich ausgestattete Kirche in Neustadt im Schwarzwald gotischen Bettelordenskirchen folgt. Noch in den 1920er Jahren entstand mit Sankt Pankratius in Dossenheim eine Kirche im Stil des Neubarock, während gleichzeitig andernorts schon Tendenzen der Moderne und der Liturgischen Bewegung Einfluss auf den Bau von Gottesdiensträumen nahmen. Dass es im Erzbistum neben bekannten Sehenswürdigkeiten auch noch Kostbarkeiten zu entdecken gibt, zeigt das ausgezeichnet erhaltene Jugendstilensemble der Kirche Sankt Georg im sonst eher für seine Rennstrecke bekannten Hockenheim.
Tendenzen des modernen Kirchenbaus fanden etwa mit dem expressionistischen Bau Herz-Jesu in Pforzheim oder dem von der Neuen Sachlichkeit geprägten, in liturgischer Hinsicht sehr fortschrittlichen Sankt Oswald in Stockach Eingang in die Baukultur. Unter dem konservativen Bischof Conrad Gröber wurde diese Entwicklung deutlich gebremst.
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg setzte eine rege Bau- und Ausstattungstätigkeit im Erzbistum ein. Dies geschah nicht nur zur Behebung der oft verheerenden Kriegsschäden, sondern auch, weil ein großer Bedarf nach neuen Stadtteilen und damit nach neuen Kirchenräumen entstanden war. Hinzu kamen zudem spätestens mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil auch neue liturgische Anforderungen. Neben bemerkenswerten, die bisherigen Architekturen neu interpretierenden Wiederaufbauten sind zahlreiche neue Kirchen entstanden, über die Wolf-Holzäpfel einen hervorragenden Überblick gibt. Als eines dieser oft wenig geläufigen Beispiele sei Sankt Konrad in Karlsruhe herausgegriffen, ein Bau von 1956/57 mit klaren Bauformen und einer sehr interessanten Lichtführung. Doch es geht dem Autor nicht nur um die Erbauung und Ausstattung von Kirchen in ihrem historischen Kontext: Er legt auch ein Augenmerk auf die liturgische Neugestaltung von Altarräumen im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils. Das Konfliktpotential derartiger Umgestaltungen gerade älterer Kirchen blendet der Band, als Überblicksdarstellung, mit Recht aus.
Welchen Sprengstoff derartige Diskussionen bergen, zeigte sich zwischen 2005 und 2008 bei der Umgestaltung des liturgischen Bereichs des Freiburger Münsters, also der Bistumskathedrale, deren Resultat 2007 die FAZ an „nobelsüchtige Sparkassenhallen“ erinnerte. Das In-die-Mitte-Rücken des liturgischen Zentrums führt in historischen Kirchenbauten oft zu einem kaum auflösbaren Dilemma: Weder kann man den Zelebrationsaltar als wichtigsten liturgischen Ort ganz dezent wie ein jederzeit verräumbares Möbel verschieben, noch einfach historische Baustrukturen ignorieren. Das Buch bietet eine ausgezeichnete Gelegenheit, auch verschiedene gestalterische Konzepte zu vergleichen, zum Beispiel anhand zweier bedeutender Barockkirchen im Bistum: einerseits die kleinteilig dezente Gestaltung in Hilzingen im Hegau, andererseits die stark (für den Autor „wohltuend“) kontrastierende Ausstattung in Sankt Peter in Bruchsal.
Besonders interessant sind Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten, die nicht „nur“ auf den einen Kirchenraum fokussiert sind, sondern von einem ganzheitlicheren Blick auf das Gemeindeleben ausgehen. Da wären ökumenische Kirchenzentren zu nennen, deren spektakulärstes Beispiel sicherlich der ab 1999 entstandene Bau von Sankt Maria Magdalena in Freiburgs neuem Stadtteil Rieselfeld ist: Ein im Stadtraum wie eine abstrakte Skulptur wirkender Solitärbau enthält einen katholischen und einen evangelischen Kirchenraum. Die sie trennenden Betonwände können beiseitegeschoben werden, wodurch ein großer ökumenischer Raum geöffnet wird – die dazwischenliegende „neutrale Zone“ enthält als gemeinsamen Nenner den Taufort. Solche konfessionsverbindenden Zentren werden aber nicht die Zukunft der Kirchen sein, weil sie von günstigen (gerade finanziellen) Voraussetzungen abhängen, die nicht oft gegeben sein werden.
Immerhin ist es dem Erzbistum Freiburg bislang erspart geblieben, sich durch schrumpfende Kirchenmitgliederzahlen in größerem Stil von Sakralbauten trennen zu müssen. Stattdessen gibt es gelungene Beispiele, in zu groß gewordene Kirchen weitere Funktionen einzufügen: Zu nennen sind hier etwa Kirchen in Meckesheim und Mosbach-Waldstatt, wo Gemeinderäume in den Kirchenbau integriert werden konnten. Damit wurde gleichzeitig der Gottesdienstraum auf ein angemessenes Maß reduziert und die Kirchenarchitektur erhalten. Für Wolf-Holzäpfel zeigen derartige Beispiele, „dass es bei der aktuellen Entwicklung in Gesellschaft und Kirche und den Auswirkungen auf den Bestand der Gotteshäuser nicht in erster Linie um Reduktion geht, sondern um eine Weiterentwicklung der Sakralbauten entsprechend den heutigen Bedürfnissen“.
Natürlich wäre es reizvoll gewesen, wenn auch evangelische Kirchbauten thematisiert worden wären. Sie entstanden ja parallel, teilweise von denselben Architekten geplant. Aber das hätte mit Sicherheit den Rahmen gesprengt. Eine leichtere Aufgabe wäre eine handliche Essenz des Bandes als Broschüre für unterwegs – für die Kirchen, die nicht im Baedeker stehen.