Michael HanekeDer Schmerzensmann

Michael Haneke wird 80 Jahre alt. Aus christlicher Perspektive zählt er noch immer zu den spannendsten Regisseuren unserer Zeit.

Es ist nur eine kurze Kopfbewegung. Der junge Mörder, der sich gerade Zugang zum Haus einer Familie erschlichen hat, schaut in die Kamera, direkt Richtung Publikum – und zwinkert verschwörerisch. Mit seinem Film „Funny Games“ stellt Michael Haneke 1997 die Spielregeln des Horror-Kinos kurzerhand auf den Kopf. Plötzlich ist der Zuschauer Teil der Mörderbande und muss sich fragen, wer verrückter ist: die Schurken auf der Leinwand oder die Menschen in den Kinosesseln, die sich Gewalt, Mord und Tod als Abendunterhaltung anschauen? „Ich versuche Wege zu finden, um Gewalt als das darzustellen, was sie immer ist“, erklärte der österreichische Regisseur später. „Schmerz, eine Verletzung anderer.“

Gewalt im Pfarrhaus

Auch in Hanekes wohl bekanntestem Film „Das weiße Band“ geht es brutal zu: In einem beschaulichen deutschen Dorf werden Anfang des 20. Jahrhunderts Feuer gelegt und Menschen entführt. Doch statt die Schuldigen ausfindig zu machen, konzentriert sich das Drehbuch auf die Gewalt innerhalb der Familien – allen voran im Haus des evangelischen Pastors. Der verprügelt seine Kinder nicht nur regelmäßig, sondern zwingt sie auch, auffällige Bänder zu tragen, die sie vor der ganzen Dorfgemeinschaft als „Sünder“ kennzeichnen. Ein klares Beispiel für das, was wir heute spirituellen Missbrauch nennen würden – in einem Film aus dem Jahr 2009. Dem Regisseur gelang damit ein Welterfolg, der sogar für zwei Oscars nominiert wurde.

Biblische Motive

Dabei betonte Haneke immer wieder, dass er „Das weiße Band“ nicht als grundsätzliche Kritik am Christentum verstanden wissen will. „Ich war ein sehr gläubiges Kind“, sagte er der Mitteldeutschen Zeitung. Und etwas davon ist geblieben – auch wenn Haneke inzwischen aus der evangelischen Kirche ausgetreten ist. Sein Ringen mit seinen christlichen Wurzeln zeigt sich etwa in „Amour“, der ergreifenden Liebesgeschichte eines alten Ehepaars. Als die Frau schwer erkrankt und sich einen selbstbestimmten Tod wünscht, steht ihr Mann plötzlich vor einer schrecklichen Gewissensentscheidung. Und Hanekes bisher letzter Film „Happy End“ (2017) greift biblische Motive auf, wenn der „verlorene Sohn“ eines Bau-Imperiums den Luxus seiner Familie hinter sich lässt und sich mittellosen Flüchtlingen anschließt. Die New York Times schrieb einmal, Michael Haneke sei „schon immer mehr daran gelegen, das Publikum zu bestrafen, als es zu unterhalten“. Doch wer so denkt, übersieht, dass seine Filme durch all den Schmerz und das Leid zu moralischen Grundfragen durchbrechen. Und das ist immer wieder sehenswert.

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