Gottesdienst in GebärdenspracheDen Worten Flügel verleihen

Warum ein in Gebärdensprache übersetzter Gottesdienst nicht nur ein Akt der Inklusion, sondern auch eine spirituelle Bereicherung sein kann.

Alle vier Wochen wird in unserer Gemeinde der Samstagabendgottesdienst in Gebärdensprache übersetzt. Vergangenes Wochenende war es wieder einmal so weit. Und wie so oft konnte ich vor lauter Faszination die ganze Messe hindurch den Blick nicht von der Dolmetscherin, die mit tanzenden Fingern die Worte der Lesung, der Predigt, der Eucharistie und der Gesänge in Zeichensprache übersetzten. Nach jedem dieser Gottesdienste gehe ich mit dem großen Gefühl des Beschenktseins nach Hause.

Kraftvolle Zeichen

Zum einen natürlich, weil eine solche Feier inklusiv ist und ich mich sehr freue, dass auf diese Weise auch den gehörlosen Gläubigen eine Teilnahme und Teilhabe am Gottesdienstgeschehen mitten unter uns ermöglicht wird. Zum anderen empfinde ich die Übersetzung in Gebärdensprache auch als große spirituelle Bereicherung, denn jedes in der Messfeier gesprochene (und damit nach all den Jahren auch manchmal etwas eindimensionale) Wort erlangt durch die Übertragung in Gebärden eine neue Weite und Komplexität und führt geistlich in die Tiefe.

Beim Wort „Gott“ werden die ersten drei Finger gen Himmel bewegt – und verweisen so auf die Größe und Dreifaltigkeit Gottes. Die Gebärde für „Kirchengemeinde“ ist eine Abfolge aus zu einem spitzen Kirchturm zusammengelegten Händen und einem Zusammenführen der Hände zu einem, die Gemeinschaft symbolisierenden, engen Kreis – und sie zeigt, dass Kirche nicht nur ein steinernes Gebäude, sondern auch ein lebendiges menschliches Gebilde ist. Die Gebärde für „Jesus Christus“ zeigt auf die Wundmale an den Händen und erinnert somit jedes Mal an das Leid Jesu am Kreuz – und an seine Auferstehung.

Für Leib und Seele

Es sind kurze und kompakte Gesten. Sie haben aber die Möglichkeit und die Kraft, auf die Gedanken, Bedeutungen und Wahrheiten hinter dem Gesprochenen zu verweisen, die beim reinen Zuhören vielleicht verschlossen bleiben. Aber nicht nur das: Manchmal kann die Zeichensprache ganz nebenbei sogar auf innerkirchliche Problemfelder verweisen. So ist beispielsweise das Zeichen für einen katholischen Priester – in Anlehnung an das Kollar – ein Halsbandund es ließ mich unwillkürlich an klerikale Gehorsamsverpflichtungen und Abhängigkeiten denken.

Der Glaube lebt immer von zeichenhaften Handlungen und von der Verbindung aus Worten und sinnlichen Erfahrungen. Ein in Gebärdensprache übersetzter Gottesdienst ist nicht nur evangeliumsgemäß-inklusiv, sondern er schenkt allen Gottesdienstbesuchern darüber hinaus ein erhebendes Glaubenserlebnis mit und für Leib und Seele. Es gibt also zahlreiche Gründe, warum ein solches Angebot viel mehr Schule machen sollte.

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