Wer findet beim russischen Diktator Putin Gehör? Wer kommt als möglicher Vermittler im Ukraine-Krieg infrage? Welche Persönlichkeit genießt bei beiden Kriegsparteien das nötige Vertrauen? Kurze Zeit sah es so aus, als könne dies der türkische Präsident Erdoğan sein. Auch auf dem israelischen Ministerpräsidenten Bennett ruhten für ein paar Tage die Hoffnungen. In Diplomatenkreisen wird der Name Angela Merkel genannt, die sich bislang mit öffentlichen Stellungnahmen auffallend zurückgehalten hat. Wenn es um eine mögliche Vermittlung geht, fällt aber auch immer wieder der Name von Papst Franziskus. Seit Beginn des Krieges zeigt sich der Vatikan ungewohnt rege und betriebsam (vgl. CIG Nr. 10, S. 18). Man denke an den diplomatisch höchst ungewöhnlichen Besuch des Pontifex in der russischen Botschaft, an die Entsendung zweier enger Mitarbeiter im Kardinalsrang in das Kriegsgebiet oder an die Telefonate des Papstes mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Nicht wenige Beobachter wünschen sich, dass Franziskus dessen Einladung in die Ukraine annimmt.
Der Papst als möglicher Vermittler zwischen Russland und der Ukraine? Dass diese Erwartung geäußert wird, ja dass so etwas überhaupt im Bereich des Möglichen erscheint, ist das Ergebnis einer historischen Entwicklung. Der Heilige Stuhl hat sich in den letzten 150 Jahren als Friedensmacht profiliert. Der Einsatz für den Weltfrieden, die Vermittlung in internationalen Konflikten und die Stärkung der internationalen Organisationen ist heute wie selbstverständlich Teil der außenpolitischen DNA der Weltkirche.
Der Heilige Stuhl hat sich in den letzten 150 Jahren als Friedensmacht profiliert. Es ist Teil seiner DNA, sich für den Frieden einzusetzen, in Konflikten zu vermitteln und die internationalen Organisationen zu stärken.
Das war nicht immer so. In der Zeit des alten Kirchenstaates, der 1870 dem italienischen Einheitsstaat weichen musste, war das Papsttum zu sehr Partei, als dass an eine Vermittlung zwischen verfeindeten Nationen zu denken war. Nicht einmal eine Vermittlung zwischen großen katholischen Staaten kam ernsthaft in Betracht. Mit dem Pontifikat Leos XIII. (1878–1903) setzte etwas Neues ein, insofern der Heilige Stuhl elfmal in internationalen Konflikten vermittelte. Auch wenn die Bilanz insgesamt durchwachsen war, konnte man doch auf Erfolge verweisen. Das gilt etwa für die Mediation zwischen Spanien und dem Deutschen Reich. Leo XIII. traf sich mit Bismarck in dem Bemühen, die Reste des Kulturkampfes abzuwickeln. Als Zeichen des neuen Einvernehmens bat der Reichskanzler den Papst förmlich, im Konflikt über die pazifischen Karolinen-Inseln zu vermitteln. Spanien willigte ohne Zögern ein. Deutschland hätte die spanische Kolonie gern an sich gezogen, da diese als Handelsstützpunkt von großem Wert war. Spanien, das bereits die meisten Kolonien in Lateinamerika verloren hatte, konnte aus Gründen der Staatsräson nicht nachgeben. Rom legte nun einen klassischen Vermittlungsvorschlag vor, der die Inseln bei Spanien beließ, den Deutschen aber Niederlassungsrechte gewährte. Für die Zeitgenossen stand außer Frage, dass der Papst, der sich wie sein Vorgänger als „Gefangener im Vatikan“ verstand, durch diese Intervention in der internationalen Politik deutlich aufgewertet wurde. Es wurde vor aller Welt deutlich, dass der Heilige Stuhl zwar über kein Territorium, wohl aber über eine echte Souveränität verfügte.
Wenn man über vatikanische Friedensvermittlung spricht, kommt man am Weltkriegspapst Benedikt XV.(1914–1922) nicht vorbei. Sein Pontifikat war ganz von den Folgen des Krieges bestimmt, ja, es liegt sehr nahe, dass er im Herbst 1914 vor allem deshalb gewählt wurde, weil man ihm einen Beitrag zur Beendigung des Konfliktes zutraute. Als engster Mitarbeiter von Mariano Rampolla, des Kardinalstaatssekretärs Leos XIII., hatte er die Vermittlungspolitik jener Zeit mitgestaltet. Äußerlich schienen die Friedensbemühungen Benedikts XV. zum Scheitern bestimmt. Italien ließ sich nicht aus dem Krieg heraushalten, wie das die päpstliche Diplomatie im ersten Kriegswinter versucht hatte. Keine unmittelbaren Folgen hatte auch die berühmte Friedensnote vom 1. August 1917. Vorausgegangen waren ihr geheime Sondierungen bei den Mittelmächten Deutschland und Österreich-Ungarn, um diese zur Offenlegung ihrer Kriegsziele zu bewegen. An der Note, die an die Staatsoberhäupter der kriegführenden Länder adressiert war, fällt die Konkretheit auf. Entsprechend dem Grundsatz, dass zum Status quo vom Juli 1914 zurückzukehren sei, wurden klare Vorschläge vorgelegt, wie mit den umstrittenen Fragen zu verfahren sei. Auch wurde eine Linie vorgegeben, an der bis heute festgehalten wird: Der Heilige Stuhl ist nicht neutral, denn er behält sich vor, Unrecht beim Namen zu nennen (so wie Franziskus den Krieg in der Ukraine scharf verurteilt). Zugleich ist er aber überparteilich und schlägt sich auf keine Seite, denn andernfalls wäre an eine Vermittlung nicht zu denken.
Berlin und Wien antworteten auf die Friedensnote unverbindlich, während Reaktionen aus Rom, Sankt Petersburg, Paris und London ausblieben. Doch hatte sie eine Nachgeschichte, die nicht vorauszusehen war: Dadurch, dass die Bolschewisten den geheimen Text nach der Oktoberrevolution veröffentlichten, wurde er breiteren Kreisen bekannt. Italienische Soldaten an der Alpenfront trugen ihn in ihrer Rocktasche, bei ihrer Flucht nach der verlorenen Schlacht von Karfreit hatten sie das päpstliche Wort vom „unnützen Blutvergießen“ auf den Lippen. Die Friedensnote wurde auch zum Schlüsseltext für die Männer und Frauen der katholischen Friedensbewegung, die sich nun zu formieren begann. Man denke an Franziskus Maria Stratmann oder Max Josef Metzger, die Gründer des Friedensbundes Deutscher Katholiken.
Das Wirken Benedikts XV. für den Frieden bewunderte ein junger italienischer Militärgeistlicher, der später selbst Papst werden und einen wichtigen Beitrag zur Wahrung des Weltfriedens leisten sollte: Angelo Roncalli – Johannes XXIII. (1958–1963). Während der Kubakrise Im Herbst des Jahres 1962 kam es zur Stationierung sowjetischer Atomwaffen auf Kuba. Da die USA nicht hinnehmen konnten, dass von ihrem „Hinterhof“ aus amerikanisches Territorium bedroht würde, forderte Präsident John F. Kennedy ultimativ die Entfernung der Waffensysteme und ordnete eine Blockade der Karibikinsel an. Zugleich zeigte er sich entschlossen, einen möglichen Angriff der Sowjets zurückzuschlagen. Die Welt stand am Rand eines Atomkriegs. Johannes XXIII. sah seine Stunde gekommen, einen Friedensappell an die beiden Großmächte zu adressieren. Am 24. Oktober verlas er diesen im Radio: „Wir flehen alle Regierenden an, vor dem Schrei der Menschheit nicht taub zu bleiben. Dass sie alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Frieden zu bewahren. Sie werden so die Welt vor den Schrecken eines Krieges bewahren, dessen entsetzliche Folgen niemand vorhersehen kann.“ Verhandlungen zwischen den beiden Großmächten seien das Gebot der Stunde, unerlässlich die Gebete der Christen „um einen Frieden, der wahrhaftig und dauerhaft ist und der auf dem Fundament der Gerechtigkeit und Billigkeit gründet.“ Anderntags druckte die Moskauer Parteizeitung Prawda die päpstlichen Worte ab, die es beiden Seiten ermöglichten, aufeinander zuzugehen. Die Sowjets sagten eine Beseitigung der Waffen zu, wenn die USA auf eine Invasion Kubas verzichteten.
Weniger bekannt ist, dass der Heilige Stuhl unter Johannes Paul II. (1978–2005) erfolgreich zwischen Chile und Argentinien im Konflikt um die Inseln am Beagle-Kanal vermittelte. Nachdem bereits eine Vermittlung durch die englische Königin gescheitert war, kam es zu Verhandlungen in Rom, als deren Ergebnis der Papst 1980 einen Schiedsspruch vorlegte.
An der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Kuba und den USA im Jahr 2014 waren mehrere Personen beteiligt: Kardinal Ortega, Erzbischof von Havanna und Freund von Papst Franziskus; der amerikanische Außenminister John Kerry, ein Katholik; die Brüder Castro, die seit dem Kuba-Besuch Johannes Pauls II., der indirekt ein Ende des Handelsembargos vorgeschlagen hatte, offen für eine vatikanische Intervention waren. Nach vorbereitenden Gesprächen wandte sich Franziskus selbst an Barack Obama und Raul Castro und schlug Verhandlungen im Vatikan vor. Streng genommen handelt es sich hier nicht um eine Vermittlung, sondern um „gute Dienste“, da der Heilige Stuhl zwar die Gespräche ermöglichte, aber keinen Schiedsspruch vorlegte.
Historisch gesehen ist es also nicht ganz abwegig, vom Papst auch jetzt einen echten Beitrag zu einer Friedenslösung zu erwarten. Sein außenpolitisches Standing ist in mancher Hinsicht günstiger als das eines Staats- oder Regierungschefs. Der Heilige Stuhl hat keine militärische Macht oder wirtschaftliche Interessen. Er muss keine Rücksicht auf ein großes Staatsvolk nehmen. Er gehört keiner Staatengemeinschaft oder einem Militärbündnis an. Die vatikanische Diplomatie genießt den Ruf der Diskretion und Überparteilichkeit. Allerdings müssen alle Konfliktparteien eine päpstliche Vermittlung wollen. Danach sieht es im Ukrainekrieg trotz positiver Signale derzeit nicht aus.