An Kirchenaustritt denke ich nicht. Aber ich leide an so vielem, was ich höre, sehe, erlebe … Ich wurde in einer lebendigen Kirche sozialisiert: Aufbruchstimmung, Freude, Gemeinschaft, tiefes Vertrauen – das hat meine Zeit in der katholischen Jugend geprägt und ist heute noch das Fundament, auf dem mein Leben ruht. Und trotzdem spüre ich ein zunehmendes Gefühl von innerer Distanzierung zur Institution Kirche. Ich werde kritischer, schaue genauer hin, stelle mehr Fragen. Aber meine Liebe zu Gott, mein Vertrauen in ihn ist unerschütterlich!
Katrin Graf, Hall Heiligkreuz (Tirol)
Das Haus der Kirche – unser geistiges Haus – ist nahezu zusammengekracht: nicht durch Fremdeinwirkung, nicht durch Verfolgung oder Propaganda, sondern durch eigene Bewohner. Es muss wieder aufgebaut werden nach den Plänen, die vom Evangelium vorgegeben sind. Man muss Tapeten abreißen, Türen ausbrechen, Wände versetzen. Das gibt Staub und Dreck. Aber hinterher wird das Haus schön und wieder bewohnbar. Dafür wird jeder gebraucht, gerade die überzeugten Christen, die sich mit der Entscheidung eines Kirchenaustritts abgequält und unter dem Verlust ihrer kirchlichen Wohnung seelisch gelitten haben. Vielleicht muss auch noch ein Konzil hinzukommen, um einigen Schutt wegzuräumen, damit die Renovierung gelingt. Das Zweite Vatikanische Konzil hat großartige Reformen hervorgebracht, sodass wir von einem neuen Konzil ebenfalls viele Erneuerungen erwarten dürfen. Darum plädiere ich fürs Bleiben.
Paul Jakobi, Minden
Die Kirche wandelt sich. Das Ende der Volkskirche ist nahe. Verkrustete autokratische und hierachische Strukturen werden geschliffen... Auch wir, die Laien, werden verwandelt. Wir sollen zu „Freudenboten“ werden, „die Gutes verkündigen“ (Röm 10,15). Ergeht dieser Ruf nicht auch an mich? Wie kann ich austreten aus einer Kirche, die den Kern der jesuanischen Botschaft endlich zu erspüren sucht, um ihn authentisch zu leben?
Johannes M. Führt, Hagen
Wenn ich noch in der römisch-katholischen Kirche wäre – ich bin alt-katholischer Priester im Ruhestand –, käme Austreten für mich zurzeit überhaupt nicht in Frage. Ich würde auf jeden Fall drinbleiben, hätte dabei allerdings ein konkretes Ziel: die Mitbestimmung der Laien, die gleichberechtigte Beteiligung aller Kirchenmitglieder an allen wichtigen Entscheidungen. Ich hätte die Hoffnung, dass die Zeit für eine solche Reform jetzt reif ist, weil immer mehr Kirchenmitglieder, die im gesellschaftlichen Leben als mündige Bürger in vielen Bereichen mitbestimmen können, nicht mehr einsehen, warum sie das in der Kirche nicht können.
Jürgen Grewe, Aachen
Vor über vierzig Jahren habe ich mir geschworen, dass ich keinem Papst, keinem Bischof und keinem Priester so viel Macht über mich gewähre, dass ich mir die Liebe zur katholischen Kirche nehmen lasse. Nun bin ich an einem Punkt angekommen, an dem ich spüre, ich habe zu dieser Kirche fast keine Liebe mehr. Der Machtmissbrauch hat die frohe Botschaft Jesu Christi verraten. – Wie sehr schmerzt dies? Wie schmerzt dies Christus selbst? Meine Vision von Kirche ist, dass sie jesuanisch sei. Das heißt, sie muss demütig, arm und barmherzig sein, so wie ihr Herr dies war. Wir engagierten Laien könnten uns als „Mauerspechte“ einbringen und so die klerikalen Mauern aufbrechen, ähnlich wie es die Mauerspechte mit der Berliner Mauer gemacht haben. Wir könnten die Verkündigung selbst in die Hand nehmen, wir könnten Gottesdienste, Agapefeiern organisieren, Seelsorge anbieten etc. Mit dieser Hoffnung werde ich noch in der Kirche bleiben.
Ursula Fleischer, Murg
Kirche ist keine „Idee“, wie Sie zu Beginn der Serie geschrieben haben. Es gibt auch nicht „Ihre Kirche“, genausowenig wie es „meine Kirche“ gibt. Es gibt nur die Kirche Jesu Christi: Er ist das Haupt, und wir sind die Glieder. Kirche ist ein lebendiger Organismus, und sie ist so heil oder so verwundet, wie die einzelnen Glieder in und an ihr es sind. Deswegen leidet die Kirche heute so sehr, weil sie ihr Hauptaugenmerk nicht mehr auf Christus richtet, sondern sich um sich selbst dreht. Die Liebe ist das Größte, was Jesus verkündet, und das zeichnet uns unter anderen Religionen aus. Aber Liebe ist auch nicht nur ein Gefühl, sondern immer eine Entscheidung, die wir treffen. Liebend bei jemandem zu bleiben, wenn’s schwer wird, ist die Kunst. Auch im Fall der Kirche.
Lucia Waibel, Bad Wörishofen
Es gibt eigentlich „Stoff“ genug, diese Kirche zu verlassen. Dass etwa immer noch gelehrt wird, Jesus „musste“ für die Sünden der Menschheit sterben. Peinlich ist zudem die Begründung, warum Frauen nicht zu Priesterinnen geweiht werden. Da wundert es mich fast, dass Frauen das Priestertum überhaupt anstreben. In der alten Kirche wurden nur Ämter ohne Machtbefugnis vergeben. Jesus wollte keine Institution zwischen Gott und dem Menschen. Er nannte Gott bewusst Abba (Papa), um auszudrücken, dass der Mensch in einem unmittelbaren Verhältnis zu Gott steht. Viele weitere Punkte wären noch zu nennen. Zu allem Übermaß tut die Kirche alles dafür, dass diejenigen, die austreten, sich möglichst noch schuldig fühlen. Sie bringt es nicht fertig, in sich zu gehen und nachzuforschen, ob sie nicht selbst so viele Anlässe dafür gibt.
Josef Grundner, Stephanskirchen
Ja, die Kirche wird erschüttert durch den Missbrauchsskandal. Und ja, die Zeit ist längst reif für ein verändertes Priesterbild, das Frauen gleichwertig miteinbezieht. Und noch einmal ja, wir müssen die antiquierte Sprache überwinden, mit der wir über unseren Glauben reden. Und dennoch: Auszutreten ist für mich keine Option. Es wäre nur dann eine, wenn mir die Kirche egal wäre. Aber das ist sie ganz und gar nicht. Zur Kirche gehören doch auch die zahllosen guten Werke, gehört die nur in Gemeinschaft leistbare Verkündigung und Weitergabe des Glaubens. Es gehören dazu meine vielen Begegnungen, die stärkenden, froh machenden und glücklichen Erlebnisse, die ich in der Kirche haben durfte. Es gehört auch dazu mein im geteilten Glauben gründendes glückliches Familienleben. All dies ist mir wertvoll. Das, was mich wund reibt an der Kirche, was schuldlastend ist an ihr, will ich – in allem Wissen um die eigenen Grenzen – zu wenden helfen. Aber das geht nur von innen her.
Dr. Karl-Josef Schmidt, Frankfurt/Main
Für mich kann die Kirche niemals so tief fallen, dass ich sie nicht mit noch größerer Liebe umfangen werde. Warum? Weil die Kirche für mich nicht zuerst eine Institution ist, sondern der Leib Christi – womöglich behaftet mit zahlreichen Wunden, dennoch vor allem sein Leib. Darum lasse ich mir durch all das Dunkle in der Kirche nicht den Blick verstellen auf das noch viel Herrlichere in ihr. Mich von ihr zu trennen, auszutreten, würde bedeuten, mich aus Christus herauszureißen – unvorstellbar!
P. Josef Maria Nagiller, Wien
Wenn man heute über die Kirche spricht, denkt man natürlich vor allem an das unentschuldbare Verbrechen des Missbrauchs. Aber dieses Bild wird einseitig, wenn wir nicht auch wahrnehmen, dass die große Mehrheit der Priester absolut korrekt, engagiert und vorbildhaft ist. Ich bin Jahrgang 1942 und habe ein Internat in einem Kloster besucht, von wo mir keinerlei schlimme Vorfälle bekannt sind. Kirche wird immer von (fehlerhaften) Menschen getragen. Das darf aber nicht den Blick auf Jesus und seine großartige Lehre verschließen. Ich bin in 145 Ländern der Erde gewesen. Überall habe ich mich bemüht, eine Eucharistiefeier zu besuchen. So wurde mir deutlich, was „katholisch“ bedeutet. Wir dürfen stolz darauf sein, zu den 1,3 Milliarden Katholiken zu gehören, der größten Glaubensgemeinschaft der Welt. Es hat mich auch tief beeindruckt zu sehen, was die Kirche in der sogenannten Dritten Welt leistet. Sie sorgt dort für Kindergärten, Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Leprastationen usw. Oft ist die Kirche der einzige Halt und Ansprechpartner der Bevölkerung. Es wäre gut, wenn wir unseren verengten Blick auf die Weltkirche ausweiten würden. Dann würden wir erkennen, dass es sich lohnt, dieser Kirche die Treue zu halten.
Hanno Rheineck, Troisdorf
Ich bin aus der Kirche als juristischem Konstrukt ausgeschieden. Nun mache ich die Erfahrung: Meine Gebete, meine Lesungen geistlicher Texte sind intensiver, innerlicher, ehrlicher geworden. Denn meinen Glauben habe ich ja nicht verloren. Die Gebote aus der Bibel bleiben–die Gebote der Kirche habe ich abgestreift. Einerseits bin ich erleichtert. Auf der anderen Seite: Die Zweifel und die Trauer, nicht mehr zum Tisch des Herrn gehen zu sollen, habe ich noch nicht ganz überwunden.
Eleonore Hillebrand, Neuss
Ich kann den Wechsel von Anselm Bilgri zur alt-katholischen Kirche nachvollziehen (vgl. CIG Nr. 11, S. 5). Ich bin nach über sieben Jahrzehnten aktiv gelebter Zugehörigkeit zur römisch-katholischen Kirche Ende 2020 ausgetreten – wegen des unbarmherzigen Umgangs mit wiederverheiratet Geschiedenen. Stattdessen habe ich mich der Selbständig Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) angeschlossen, der Glaubensgemeinschaft meiner zweiten Ehefrau. Es ist mir wichtig, Mitglied einer Kirchengemeinschaft zu sein, die das gleiche Glaubensbekenntnis spricht und im Abendmahl Gemeinschaft stiftet.
Arnulf Hülsmann, Angermünde
Wer möchte nicht eine reine, tadellose Kirche, die Vorbild, Zeichen und Werkzeug der Liebe Gottes in der Welt sein soll? Das ist das hohe Ideal, dem alle Glieder des Leibes Christi verpflichtet sind. Allerdings gab es diese Kirche in Reinkultur zu keiner Zeit. Immer bestand auch eine mehr oder weniger große Differenz zwischen Ideal und Wirklichkeit. Es bleibt die reformatorische Einsicht wahr: simul justus et peccator – „zugleich Gerechter und Sünder“, sowohl für die Kirche insgesamt als auch für jedes ihrer Glieder. Die Austrittswilligen streben vermutlich dem reinen Ideal nach und können die sehr menschlichen bzw. unmenschlichen Seiten der Kirche nicht ertragen. Ob sie jedoch anderswo ganz ins Reine kommen?
Dr. Hans-Konrad Harmansa, Leipzig
Unsere Kirche hat in 2000 Jahren gute Zeiten und weniger gute Zeiten durchgemacht – sie wird auch weiterhin leben. Der Mensch, der Christ im Besonderen, braucht Gemeinschaft. Er braucht das Gebet füreinander und das gegenseitige Verzeihen. Schauen wir auf die Apostel: Nachdem Judas Jesus ausgeliefert hat–haben da die übrigen die Gemeinschaft verlassen? Vielleicht wurde ihre Gemeinschaft dadurch ja sogar gestärkt!
Hedi Emme, Hannover
In der Kirche bleiben? Ja natürlich. Für mich ist die Kirche in erster Linie eine Glaubensgemeinschaft, erst dann eine (moralische) Institution. Es irritiert mich, dass im 21. Jahrhundert immer noch so viele Menschen das Lehramt für die Kirche halten. Warum sehen immer noch so viele Menschen in einem Kirchenaustritt die einzige Möglichkeit, dieser Autorität zu entkommen? Im Übrigen: Wenn die beiden großen Kirchen zugrunde gehen, dann deshalb, weil sie ihr Kerngeschäft nicht mehr können, nämlich zu erklären, wie Glauben geht. Die katholische Kirche kümmert sich zu viel um moralische Fragen, die evangelische zu viel um politische. Beides ist wichtig, aber nicht das Wichtigste für den Glaubensvollzug.
Wolfgang Reiffer, Ihringen
Die Frage nach einem Austritt aus der Kirche hat mich in den letzten Jahren, in denen ich auf der Zielgerade meines Lebens angekommen bin, zunehmend umgetrieben. Die Beschäftigung mit den Glaubenslehren zeigt mir, dass ich im Sinne des Lehramtes oft nicht mehr zur Kirche gehöre. Es gibt eine Reihe von Aussagen, denen ich nicht folgen kann. So muss ich wohl mit dem Makel der Häresie leben und sterben. Dennoch hat die Kirche meinen Obolus über viele Jahrzehnte hinweg gerne angenommen. Was mich vom Kirchenaustritt abhält, ist die Gemeinschaft der Christen im Dorf, in dem ich lebe, und unser Pfarrer, der die Freiheit des Denkens respektiert.
Hans-Jürgen Oeynhausen, Dormagen
Ich bin zutiefst überzeugt, dass wir die Kirche brauchen. Jetzt werde ich kühn: Ohne Kirche geht es nicht, das Glauben, zumindest nicht auf Dauer. Wenn ich mich an der Kirche reibe und meine, es nicht mehr aushalten zu können, kommt mir eine Szene aus dem Johannesevangelium (vgl. 6,66–69) in den Sinn: Zuerst (und manchmal auch zuletzt) sich an Jesus wenden! Ihm meine Fragen, meine Not und manchmal auch meine Wut und Enttäuschung sagen. Und wenn er mich fragt: „Willst auch du gehen?“ – Dann darf ich mir Zeit nehmen. Auch Petrus antwortet erst mit einer Gegenfrage: „Zu wem sollen wir gehen?“ Was wären denn die Alternativen? Der Blick in die Lebens- und Glaubensgeschichte kann Halt und Stärkung geben. Welche Erfahrungen habe ich mit Jesus (und der Kirche) gemacht? Hat er mich getragen, geführt und bewahrt–auch wenn ich es nicht gleich gefühlt habe? Es ist auch erlaubt zu sagen: „Was mich noch in der Kirche/bei Jesus hält.“ Für dieses Noch muss sich niemand schämen. Es ist manchmal ehrlicher als vollmundige Beteuerungen. Auf Zeit spielen – warum nicht? Ich kann auch sagen „Zeit gewinnen“! So einfach lasse ich mir Kirche nicht nehmen.
Christoph Schierbaum, Engelskirchen
Kirche ist die Gemeinschaft der Getauften, der Gläubigen. Kirche ist das pilgernde Volk Gottes. Kirche ist der Leib Christi. Ihr Auftrag–zeitlos gültig–ist die Verkündigung der Frohen Botschaft und die Stärkung des Glaubens. Ihr Auftrag heute ist es, in den Menschen die Sehnsucht nach Gott wieder zu wecken und den Weg frei zu machen für die Quellen des religiösen Lebens. Ich habe gehofft und gebetet, dass Sie in Ihrem Entscheidungsprozess Gottes Hand spüren und in der katholischen Kirche, Ihrer angestammten religiösen Heimat, bleiben.
Sr. M. Talida Rieder, München
Wenn ich mein Verhältnis zu der Kirche, in der ich aufgewachsen bin und beheimatet war, beschreiben soll, dann ist es von sich über die Jahre aufhäufenden Verlusten geprägt. Verloren gingen Vertrauen, Zugehörigkeitsgefühl, Kontakt zu meiner Lebenswirklichkeit im Fühlen, Sprechen und Denken. Die Hoffnung, dass die Kirche die unter den Nägel brennenden Probleme auch nur annähernd in den Griff bekommt, schwindet und darüber vergeht mein – und nicht nur mein – Leben. Als eigentlich engagierter Christ fehlt mir momentan sowohl die Kraft zum Aus- wie zum Auftritt. Einzige Hoffnungsschimmer sind der Synodale Weg, sofern ihn Rom nicht begräbt – und der wöchentliche CIG in unserem Briefkasten.
Dr. Marie-Luise Giebel, Sinzheim
Ich war noch nie so nah an dieser Entscheidung wie in den vergangenen Wochen. Und immer traten dann Menschen vor mein geistiges Auge, die mir in einer schwierigen Zeit mit ihrer Empathie, ihrer Sorge um mein Wohlergehen, ihrer aufrichtigen Anteilnahme Stärkung und Trost gegeben haben. Vor kurzem las ich den schönen Satz: „Der Glaube tröstet, wo die Liebe weint.“ Er stimmt, und Stärkung im Glauben erfahre ich auch durch die Texte vieler Ihrer Autoren. Mit meinem Austritt hätte ich das Gefühl, all diese wunderbaren Menschen im Stich zu lassen.
Ursula Matt, Seelbach