Nacktheit war lange Chefsache. Das erste bekannte Bildnis einer unbekleideten Venus nördlich der Alpen schuf der bedeutende Renaissance-Maler Lucas Cranach der Ältere (1472–1553). Die römische Göttin der Liebe und Schönheit inspirierte immer wieder Künstler. Dabei wird sie häufig vom ebenfalls nackten, kleinen Amor begleitet – ob als Honigdieb oder ausgestattet mit Pfeil und Bogen. Nackt oder halbnackt wurden nicht nur Vertreter der antiken Götterwelt festgehalten. Auch Heilige – Männer und Frauen gleichermaßen –, ja selbst den Gottessohn Jesus Christus haben verschiedene Meister auf diese Weise dargestellt.
In manchen Zeiten hatte nackte Haut auf Bildern besonders Konjunktur, in anderen war sie nicht der Rede wert. „Je mehr die Nacktheit aus dem Alltag verschwindet, umso stärker wird die Neugier nach ihr, umso mehr blüht sie erst recht in der Phantasie“, schreibt Markus Hofer. Zahlreiche Gemälde hat der Theologe und Kunsthistoriker unter die Lupe genommen. Gehörte Nacktheit im Mittelalter zum Alltag, wurde in der frühen Neuzeit mit Reformation, Gegenreformation und Hexenverfolgung die Moralkeule ebenso geschwungen wie im strengen 19. Jahrhundert. Je rigider die Sexualmoral, umso nackter wurden die Heiligen. „Kunstgeschichtlich führte diese Dynamik zu einer neuen Blüte der Kunst, moralisch zu einer gewissen Scheinheiligkeit.“
Von der Wanne zum Fußbad
Deutlich wird das am Beispiel einer Geschichte aus dem Alten Testament, die sich durch Hofers Publikation zieht wie ein roter Faden. Inspirieren ließen sich viele Künstler verschiedener Epochen von der Erzählung der Bathseba, die von König David beim Baden erspäht wird. In einer Kreuzfahrerbibel aus dem 13. Jahrhundert sind nackte Personen selbstverständlich. Verklemmter wird es bei Lucas Cranach dem Älteren, obwohl bei ihm „Schamvolles und Schamloses nahezu wahllos nebeneinander“ entstanden ist. Bei seinem Werk „Bathseba im Bade“ hat sich Cranach von der protestantischen Züchtigkeit leiten lassen. Ein Fußbad muss als Badeszene ausreichen, lediglich Bathsebas nackte Beine sind zu sehen. „Von Sinnlichkeit, geschweige denn Erotik, ist in diesem Bild kaum etwas zu spüren.“ Anders ist es rund 130 Jahre später beim lebensgroßen Aktgemälde des Barock-Malers Rembrandt van Rijn. Die nachdenklich wirkende Bathseba hält einen Brief von David in ihren Händen. Ihre „widerstrebenden Gefühle“ seien in dem Gemälde greifbar, so Hofer: Da sei „der Stolz, vom König begehrt zu werden, die Abneigung, den eigenen Ehemann zu verletzen, die Scham über eigene Gefühle, die Aussichtslosigkeit, dem Wunsch des Königs zu entkommen.“
Wie erotisch ist der Pestheilige?
In der Bibel sind nicht nur bei Bathseba nackte Tatsachen ein großes Thema. Die Bandbreite reicht von der Paradieserzählung mit Adam und Eva über das Hohelied bis hin zum leidenden, sterbenden Christus am Kreuz. Spätestens an diesen Beispielen wird deutlich: Sexualität, Nacktheit und Religion stehen in einem spannungsgeladenen Verhältnis, das der Autor akribisch aufarbeitet. So gewährt er auf unbefangene Weise verständliche und kurzweilige Einblicke in Kultur- und Religionsgeschichte quer durch die Jahrhunderte. Neben biblischen Geschichten fungierten auch Heiligenlegenden in prüden Zeiten als Legitimation für Nacktbilder.
So war das Martyrium des „Pestheiligen“ Sebastian ein willkommener Anlass, viel nackte Haut zu zeigen. Nicht umsonst avancierte er zu einer der meist dargestellten Heiligenfiguren. Bogenschützen sollen so viele Pfeile auf den römischen Soldaten geschossen haben, dass er „wie ein Igel erschien“. In vielen künstlerischen Darstellungen ist er als nackter Leidender mit von Pfeilen durchbohrtem Körper und einem sehr knappen Lendenschurz zu sehen. Es ist eine teils verstörende Mischung aus Projektionsfläche für erotische Vorstellungen und Ausdruck einer Ambivalenz von Sinnlichkeit und Heiligkeit.