Ich denke, also bin ich. Dieser berühmte Satz des René Descartes sagt nicht die ganze Wahrheit. Ebenso gilt: Ich empfinde, also bin ich. Gefühle, Vermutungen, Wünsche, Begierden, Illusionen, Freuden und Ängste bestimmen Einzelne und Kollektive weit mehr als logische Abwägungen. Das rationale Wesen Homo sapiens ist ebenso ein irrationales, für Stimmungen und Stimmungsmache empfänglich. Das zeigt die Bewegung der Impfgegner. Sie hat Auftrieb erhalten, je intensiver die Nachrichten bildmächtig Demonstrationen präsentierten, oft an erster Stelle. Auch wenn die Massenmedien „neutral“ beobachten und berichten, hat das seine beeinflussende, eingreifende Wirkung auf die Vorgänge ähnlich wie quantenoptische Messungen in der Physik.
Die Macht der Moden
Auch politisch entscheiden Gefühle über Vorlieben. Die Sachargumente etwa in Parteiprogrammen sind zunächst nur ungedeckte Schecks. Wie schnell Stimmungen kippen, hat man bei der Bundestagswahl erlebt, als ein unverfänglicher Lacher an falscher Stelle durch die mediale Platzierung in der Öffentlichkeit zum „Kipppunkt“ wurde. Moden und Modenwechsel setzen ohnehin auf Gefühle: was angeblich zu meinem Typ passt, worin ich Ich bin. Warum bevorzuge ich zum Beispiel dieses Automodell und nicht ein vergleichbares, das objektiv genauso gut ist? Über Geschmack lässt sich nicht streiten? Doch, über Geschmack lässt sich trefflich streiten. Die „geheimen Verführer“ der Werbung spielen mit dem irrational Unbewussten und sind daher so mächtig. Sogar bei der Partnerwahl, bei der Liebe, entscheidet, ob man sich riechen kann. Das laut Immunforschern sogar im wortwörtlichen Sinne, wodurch unbewusst ermittelt wird, ob die Immunsysteme aufeinander abgestimmt sind.
Die Ohnmacht der Religion
Ebenso entscheidet über die Zuwendung zur und die Abwendung von Religion eher Irrationales als Lehrsätze. So wie sich die Impfgegner von der Abwehr anderer gegen staatliche Autorität mitreißen lassen, lassen sich große Teile der Bevölkerung von der medial hochgepuschten Abneigung gegen Kirche beeinflussen. Fakten wie sexueller Missbrauch, der Institutionen wie den Sport genauso oder noch schlimmer betrifft, fallen dabei offenkundig weniger ins Gewicht. Denn sonst müsste man Leichtathletik- und Turnerinnenwettkämpfe oder Olympische Spiele und Fußballweltmeisterschaften bei ausbeuterischen, unterdrückerischen Systemen wie in China oder Qatar ebenso ächten, boykottieren. Aber die irrationale Sportliebe überwiegt alles. Für die Zuwendung zum Christentum wiederum war in der Antike ebenfalls Gefühlsmäßiges ausschlaggebend: Seht, wie sie einander lieben! So erklärte sich der theologische Schriftsteller Tertullian diese Attraktivität. Der Glaube an die Auferstehung kam hinzu. Einzig die Liebe, die Gottesliebe, kann dem Hass, der Hetze, der Abneigung gegen das Christentum christlich etwas entgegensetzen. Auch heute.