Die viel bewunderte Hightech-Branche und ihre IT-Apostel versprechen, unser Dasein in ein einziges digitales Paradies zu verwandeln, in ein Metaversum, das sogar das kosmische Universum virtuell transzendiert. Die schöne neue Welt der Arbeit an jenem neuen Himmel und jener neuen Erde hat religiöse Züge angenommen. Darauf machte die kalifornische Soziologin Carolyn Chen in der „Neuen Zürcher Zeitung“ aufmerksam.
Das Silicon Valley wurde mit bahnbrechenden Innovationen zum „Herz des neuen Universums“. Viele der dort bei Mega-Konzernen oder Start-ups beschäftigten Tech-Protagonisten sagen, sie seien zwar Atheisten, aber sie wirkten in einer „sehr spirituellen Region“. Die Firmen machen die Arbeit zu einem quasi-religiösen Erlebnis mit Workshops für Meditation, Atemtechniken zur Stressreduktion, Achtsamkeitstrainings. Das soll die Konzentration, Arbeitslust, Ausdauer, Produktivität steigern. Die Unternehmen laden buddhistische Mönche ein und schicken Führungspersonen in spirituelle Coachings. Die Beschäftigten, die pro Woche bis siebzig Stunden im Betrieb verbringen, sehen sich als Elite. Sie hätten „durch die Arbeit zu sich selbst gefunden“. Carolyn Chen: „Ihre Identität beruht auf ihrem Job. Sie fühlen sich zugehörig zur Mission ihrer Firma.“ Ein religiöses Wort. Der Job ist zur Quasireligion geworden.
Beruf und – oder – Familie?
Was aber bedeutet das für die Vielen, die nicht in den an den Börsen höchstgehandelten und prestigeträchtigsten Branchen tätig sind? Auch das gewöhnliche Schaffen „im Team“ ist zur Selbstverwirklichung, fürs Selbstwertgefühl „hochgejazzt“. Zum Beispiel legt die allgemeine Meinung die Erfüllung des Frauseins erst durch Erwerbstätigkeit, Karriere nahe. Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Erstere liegt dabei eher an zweiter Stelle. Die Mütter seien schuld, wenn sie es nicht richtig managten. Als neulich eine Ministerin aufgeben musste, weil sie ihrem politischen Amt zuvor nicht gerecht geworden war, mischten sich endlich mal kritische Töne in die Glorifizierung von Verheißungen, die sich zusehends als Überforderung herausstellen, für Mütter, für Väter, besonders für die Kinder, die elterliche Zuwendung vermissen. Aber ohne berufliche Gleichstellung der Frauen geht es nicht.
Schlichtweg Geld verdienen
Doch Abrüstung tut not. Nicht alles ist Berufung, Freude, Erfüllung, gar zur Ehre Gottes. Für Milliarden Männer wie Frauen bedeutet Arbeiten schlichtweg: Geld verdienen, Broterwerb, oftmals Maloche, Entfremdung. Marx ist nicht überholt. Das erste biblische Buch holte das Schaffen aus dem Paradies auf den (Acker-)Boden der Tatsachen. Gott spricht zum ewigen Adam (wie zur ewigen Eva): „So ist verflucht der Ackerboden ... Unter Mühsal wirst du von ihm essen ... Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen.“ Wie weise doch wahre Religion ist, die eine Pseudoreligion entmythologisiert: Der Ackerboden des Lebens bleibt ein Boden zum Ackern. Und der neue Schweiß heißt Stress.