fulminantes mittelalter-epos
Der Papst, dein Feind
Wo „Der Name der Rose“ aufhört, beginnt „Die Schwarze Rose“.
Ist Die schwarze Rose tatsächlich die Fortsetzung von Umberto Ecos Welterfolg Der Name der Rose? Ja, der franziskanische Mönchdetektiv William von Baskerville taucht wenige Monate, nachdem er in einem Alpenkloster eine Mordserie aufgedeckt hat, in Dirk Schümers Roman auf. Genauso wie Top-Inquisitor Bernardo Gui und Franziskaner-General Michele de Cesena. Ja, es entfaltet sich ein dichtes, spannendes Mittelalter-Epos am damaligen Papstsitz Avignon, eine Intrige rund um Papst Johannes XXII., konkurrierende Kardinäle wie Napoleone Orsini und den aufbegehrenden Kaiser Ludwig IV., ein Thriller um Theologie, Geld und Macht. Wer das Jahrhundertwerk von Umberto Eco mochte, kommt bei Dirk Schümer absolut auf seine Kosten.
Avignon, im Jahr 1328. Im Zentrum stehen der berühmte Meister Eckhart, der sich vor dem Papst für seine umstrittenen Lehren verantworten muss, und sein Novize, der Dominikaner Wittekind, der die Geschichte der Schwarzen Rose erzählt. Staunend verfolgt der Leser die Wandlung des schüchternen Begleiters seines Herrn zu einer Art sakralem Jason Bourne, also zu einem Spion und Ermittler, bei dem schnell klar wird, dass er in seinem früheren Leben irgendwann das Kämpfen, Überleben und auch das Töten gelernt hat.
Meister Eckhart und Wittekind warten am Papstsitz in Avignon angespannt auf den Termin der päpstlichen Anhörung, wo sich der große Theologe vor der Inquisition verantworten muss. Meister Eckhart bereitet sich akribisch vor, meditiert, bleibt selbstbewusst und zuversichtlich, auch als er erfährt, dass der gefürchtete Inquisitor Bernardo Gui in die Stadt gekommen ist, um den Prozess persönlich zu leiten.
In der Zwischenzeit wird ein Mitarbeiter der päpstlichen Kämmerei ermordet, Wittekind überfallen und verfolgt, von den geächteten Juden Avignons gerettet und hineingezogen in einen undurchsichtigen Strudel aus Gewalt, politischen Machenschaften und einer Finanz-Intrige. Langsam entdeckt der junge Dominikaner, dass er zu einer gejagten Hauptfigur im Streit zwischen dem Papst und seinen Gegenspielern – Kaiser Ludwig IV., den Kardinälen um Napoleone Orsini und den um ihr Armutsideal ringenden Franziskanern – wird. Da wird plötzlich auch der Ausgang des Prozesses gegen Meister Eckhart zum Nebenkriegsschauplatz, überlagert vom beklemmenden Panorama einer dekadenten, in sich verfeindeten Kirche, die einem klarmacht, was es wirklich bedeutet, wenn die Kirche in einer Krise ist.
Der 60-jährige Dirk Schümer, Europa-Korrespondent der Welt-Gruppe, legt mit Die Schwarze Rose einen fulminanten Roman-Erstling vor – spannend, lehrreich, unterhaltsam – und absolut empfehlenswert! Eine würdige Fortsetzung.
andré lorenzCIG
dirk schümer:
die schwarze rose
Paul Zsolnay Verlag
Wien 2022
608 Seiten
28 €