Pontifex Paximus
Beeindruckende Bilder, Predigten, die ans Herz gehen und Theologisches in Fußnoten – ein Sammelband erklärt die Friedenspolitik des Papstes. von Felix Evers
Um Papst Franziskus als Friedenspolitiker zu verstehen, bedarf es eines Hineinfühlens in seine Frömmigkeit. Denn aus dem Herzen kommt hier die Kraft zur konkreten Tat: Contemplatio und Actio sind für Franziskus zwei Seiten derselben Münze. Das im Auftrag von Pax Christi Deutschland erschienene lesenswerte Deutebuch beleuchtet das friedenstheologische Profil des argentinischen Jesuitenpapstes vor allem anhand seiner Predigten und Ansprachen. Es legt nahe, Franziskus bei seinem eigenen Wort zu nehmen: „Und ich bestehe darauf, das beste Gegenmittel gegen den Terror ist die Liebe. Liebe heilt alles.“
Es ist faszinierend zu sehen, welche Bilder dieser Papst, insbesondere bei spontanen Gelegenheiten, für seine Vision eines globalen Friedens findet. Bisweilen bitte ich Kinder in der hiesigen Paulusschule auf der Billeinsel, manche Franziskus-Predigten in ein Gemälde zu überführen. Wie wohltuend, zumal hier im Hamburger Osten, der mit Mümmelmannsberg als Brennpunktviertel gilt, in dem mehr als 100 Nationen friedlich miteinander auszukommen haben. Dieser Papst predigt in gewisser Weise für Hamburg-Billstedt und Mümmelmannsberg, genauso wie für Berlin-Neukölln und Duisburg-Marxloh.
Michelle Becka, Professorin für Christliche Sozialethik in Würzburg, zeigt in dem Buch, wie dieser Papst den Eurozentrismus der katholischen Kirche aufbricht. Sie erläutert, wie er Texte der gesamtlateinamerikanischen Bischofskonferenz aufgreift, Motive der Befreiungstheologien und der argentinischen Volkstheologie verwendet und die indigenen Kulturen mit ihren Kosmosvisionen wertschätzt: „Buen Vivir“ bezeichnet demnach ein Leben in Gemeinschaft, in Geschwisterlichkeit und vor allem in Komplementarität. Es meine gemeinschaftliches, harmonisches und selbstgenügsames Leben und sei die Grundlage für die Verteidigung der Natur, des Lebens selbst und der gesamten Menschheit. Und ja, auch zeitlich wird der Begriff der Gemeinschaft ausgedehnt: Denn er umfasse sowohl die Verstorbenen als auch die zukünftigen Generationen.
Franziskus nutzt jede Gelegenheit, um mit Vertretern anderer Religionen zu beten und dabei sehr konkrete politische Botschaften auszusenden. Das beleuchtet der Kölner Theologe und Experte für den interreligiösen Dialog Josef Freise. Erinnert sei an das erste Weltgebetstreffen für den Frieden in Assisi 1986, weitere folgten in den Jahren 1993, 2002 und 2011. Diese Weltgebetstreffen waren eine konkrete Folge des Konzilstextes Nostra Aetate aus dem Jahr 1965 über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. Papst Franziskus lud zum 30. Jahrestag erneut nach Assisi ein. „Franz in Assisi“ titelten manche Zeitungen. In diesen plakativen Worten steckt die Erkenntnis, dass allein schon die Namenswahl des argentinischen Papstes inklusive seines ausgerufenen „Jahres der Barmherzigkeit“ authentisch Zeugnis dafür ablegt, wie sehr das Herz dieses Papstes für Frieden und Versöhnung schlägt. Papst Johannes Paul II. küsste auf den Flughäfen den Boden jedes fremden Landes und sammelte auf Weltjugendtagen – den Brüdern von Taizé gleich – die Herzen junger Menschen friedensbewegt ein. Papst Benedikt XVI. nannte seine erste Enzyklika Deus caritas est und gab der bedingungslosen Liebe Gottes theologisch ein Gesicht, wie es niemals zuvor jemand vermocht hatte. Und Papst Franziskus bündelt beide Pontifikate auf seine so menschliche Art und Weise, dass in jedem Atemzug das Jesuswort spürbar wird: „Schalom! Friede euch allen!“
Der Paderborner Theologe Stefan Silber legt dar: Papst Franziskus „bestreitet, dass Krieg immer noch als eine mögliche Lösung gesehen werden kann. Nach seiner Auffassung können wir daher heute nicht mehr von einem ‚gerechten Krieg‘ sprechen. Im Gegenteil erfordert es die gegenwärtige Realität, politische Strategien zu schaffen, die von der Gewaltfreiheit, der Geschwisterlichkeit und der Spiritualität geprägt sind.“ Es sei, so Silber, sehr auffällig, dass sich der Papst in einer entsprechenden Fußnote sogar offen von Augustinus distanziert habe, „der eine Theorie vom gerechten Krieg ausgearbeitet hat“. Diese „Theorie“ des Kirchenlehrers bildet ja bis heute die Grundlage für die gesamte Lehre vom „gerechten Krieg“, die nach Stefan Silber damit ebenfalls hinfällig werde. Papst Franziskus verurteile die Doktrin vom „gerechten Krieg“ nicht definitiv; er ordne auch nicht an, sie aus dem Katechismus zu streichen (wie er dies bei der Todesstrafe tat); er lasse jedoch keinen Raum für ihre Anwendung unter den gegenwärtigen militärischen und politischen Bedingungen.
Wollte man den Friedenspolitiker Franziskus brennpunktartig verdichtet hautnah erleben und ihm lauschen, dann konnte es die Welt am 25. März dieses Jahres erleben. Am Fest der Verkündigung Jesu prägte der Papst ein weiteres Mal überwältigende Bilder der Hoffnung und des Friedens, die er den Bildern von Krankheit, Leid, Pandemie und Krieg wirkmächtig entgegensetzt. Wie bereits während der grassierenden Pandemie, als er am 27. März 2020 mutterseelenallein auf dem regnerischen Petersplatz mit der Monstranz den außerordentlichen Segen Urbi et Orbi spendete. Zwei Jahre später verneigte er sich vor dem gleichen Pestkreuz aus San Marcello al Corso. Dann neigte er das Haupt vor der Fatimamadonna, dessen Unbeflecktem Herzen er im Rahmen einer Bußliturgie im Petersdom die Ukraine, Russland und die ganze Welt weihte. Dieser Weiheakt sei keine magische Handlung, so Franziskus: Vielmehr dürften wir die gleiche Erfahrung machen, die einem Kind in der barmherzigen Umarmung der eigenen Mutter zuteilwerde: „Klopf an Mutters Herz!“
Gegen die Leichenberge der Pandemie hatte Papst Franziskus diesen verschwindend kleinen weißen Segensfleck auf einem menschenleeren Petersplatz gesetzt; gegen die rollenden Panzer in der Ukraine setzte Papst Franziskus zwei Jahre später dieses verschwindend kleine rote Herz in der mütterlichen und menschlichen Brust. Und als er, sichtlich gehandicapt durch ein Knieleiden, in den Beichtstuhl geschritten war, um selbst Gottes Vergebung zu erflehen, bevor er das Weihegebet verlesen sollte, spürten weltweit alle Abermillionen Mitfeiernden, welchen Unterschied es macht, ob ein Mensch sein eigenes Herz im Gleichklang mit dem Herzen Jesu schlagen lässt oder aber ob ein Mensch sein eigenes Herz versteinern lässt, um auf herzlose Weise mit Kriegswaffen auf die Herzen von Mitmenschen zu zielen. CIG
Felix Evers
ist Pfarrer in Hamburg-Billstedt.
stefanie a. wahl, thomas nauerth, stefan silber (hg.):
papst franziskus: mensch des friedens
Zum friedenstheologischen Profil des aktuellen Pontifikats
Verlag Herder
Freiburg 2022
240 Seiten
25 €
Das beste Mittel
gegen den Terror ist die Liebe. Liebe heilt alles.
papst franziskus
Friedensethik