Es scheint, dass die Corona-Pandemie uns einlädt, Abschied zu nehmen von so mancher Lebenslüge. Vielleicht lernen wir dadurch, den schwierigen Segen des Endlichen und Begrenzten neu zu schätzen: Dass unser Leben in seiner Einmaligkeit unersetzlich ist und doch angesichts des Ewigen Gottes auf wohltuende Weise etwas höchst Relatives.
Hat man dies einmal verinnerlicht, lichtet sich das Feld. Die uns geliehenen Jahre sind nicht unsere „letzte Gelegenheit“, wir haben es deshalb auch nicht nötig, sie bis ins Letzte auszupressen. Wir können sie vielmehr in Demut, Aufmerksamkeit und mit einer gehörigen Portion Humor hinnehmen lernen als das, was sie sind: eine uns auf Zeit gewährte Lebensspanne, in der im Kleinen Großes möglich ist.
Wir könnten lernen, das „Zeitliche zu segnen“, wie man früher einmal sagte. Zur Kultivierung einer solchen ... hochgemuten und demütigen Haltung dem Leben und seinem Gott gegenüber etwas beizutragen – darin läge nicht nur die eminente Aufgabe, sondern auch die große Chance einer christlichen Lebenskunst in postchristlicher Zeit.
Joachim Negel, in: „Das Virus und der liebe Gott“ (Verlag Herder, Freiburg 2022)