Zum Tod von Joachim JauerNur wer bleibt, kann etwas Neues aufbauen

Er erklärte uns den Osten – und machte den Menschen in der DDR Mut: Jetzt ist der Journalist mit 82 Jahren gestorben.

Joachim Jauer (1940–2022) (Foto: privat)
Joachim Jauer (1940–2022) (Foto: privat)

Joachim Jauer, Autor des CIG, dürfte vielen noch als langjähriger Moderator des Fernsehmagazins „Kennzeichen D“ präsent sein. 1978–1982 war er für das ZDF Korrespondent in Ost-Berlin, zweimal war er Hauptstadtkorrespondent (in Bonn und später in Berlin). 1987–1990 dokumentierte er als Sonderkorrespondent für Mittel- und Osteuropa den Zerfall des sowjetischen Imperiums aus nächster Nähe. Er arbeitete als Journalist, Dokumentarfilmer, Hochschuldozent und Autor.

Es waren Jauers Fernsehbilder, die den Menschen die Meilensteine der Wende nahebrachten: Außenminister Genschers unvollendet gebliebenen Satz in der bundesdeutschen Botschaft in Prag „… um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise…“, der im Jubel unterging; ungarische Grenzschützer mit Drahtscheren beim Abbau des Eisernen Vorhangs an der Grenze zu Österreich – Bilder, deren Tragweite von den meisten zunächst gar nicht verstanden wurde. Er berichtete im ZDF über Flüchtlingslager und half den Maltesern bei deren Versorgung. Er zeigte die Menschen, die bei den Montagsdemos in der DDR mit brennenden Kerzen aus den Kirchen kamen. Seine Filme wurden auch in der DDR gesehen und machten Tausenden Mut, ebenfalls friedlich zu demonstrieren, ebenfalls nach Ungarn oder in die Tschechoslowakei aufzubrechen.

Jauer war nicht nur Chronist der Geschichte, sondern auch ihr Interpret. Für ihn war klar: Die friedliche Revolution in der DDR konnte anknüpfen an den Mut von Menschen in Polen und Ungarn. Bei seinen Begegnungen mit den entscheidenden Männern und Frauen der Wende war ihm aufgefallen, dass etliche von ihnen ihre Kraft im christlichen Glauben gefunden hatten. Dass die Revolution friedlich blieb, lag für ihn auch daran, dass sie in den Kirchen begonnen hatte. „Wer eine Kerze hält und vor dem Wind schützt, hat keine Hand frei, um Steine zu werfen“, sagte er. Dass so viele Menschen die wirkmächtige Kraft des Glaubens so wenig gesehen oder so schnell wieder vergessen haben, war für ihn nur schwer nachvollziehbar.

Seine eigene Kirche hat es dem geschiedenen und wiederverheirateten Berliner Diasporakatholiken Jauer nicht leicht gemacht. Dennoch hing er an ihr und ist ihr immer treu geblieben. Unter verkrusteten Strukturen, unter dem Skandal von Missbrauch und Vertuschung hat er sehr gelitten. Aus der Kirche auszutreten, war aber nie eine Option für ihn. Er verglich sich selbst mit denen, die 1989 mit Tränen in den Augen den überfüllten Zügen Richtung Westen nachsahen, aber für sich entschieden, in der DDR zu bleiben. Denn, so sagte er, nur wer bleibt, kann etwas Neues aufbauen.

Joachim Jauer freute sich darüber, dass Übersetzungen seines Buches Urbi et Gorbi über die Wende und ihre Vorgeschichte in polnischen Schulen zum Einsatz kamen und auch in Ungarn gewürdigt wurden. 1992 erhielt er die Carl-von-Ossietzky-Medaille für Menschenrechte, 1999 die Goldene Kamera für Glaubwürdigkeit im Fernsehen, 2021 das Bundesverdienstkreuz für sein Lebenswerk. Er starb nach dreiwöchiger schwerer Krankheit am 29. Juli, drei Tage nach Vollendung seines 82. Lebensjahres.

Etliche Akteure der Wendezeit fanden die Kraft für ihren Mut im christlichen Glauben. Dass dies so wenig gesehen wurde, war für Joachim Jauer schwer nachvollziehbar.

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