11. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der KirchenDie Christen der Welt kommen nach Karlsruhe

Vom Treffen des Ökumenischen Rats der Kirchen soll Hoffnung ausgehen, wünscht sich Jochen Cornelius-Bundschuh im Interview.

CHRIST IN DER GEGENWART: Die Vorbereitung des Weltkirchentreffens hat Ihre Zeit als Landesbischof geprägt. Wie groß ist kurz vor Beginn die Vorfreude?

Jochen Cornelius-Bundschuh: Sehr groß! Dass die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) erstmals in Deutschland – und dann gleich hier bei uns in Baden – tagen wird, das ist eine großartige Chance. Wir werden erleben, wie kräftig der Glaube weltweit ist und wie bedroht. Wir werden sehen, wie unsere gemeinsame christliche Hoffnung Menschen ermutigt, Wege aus Ungerechtigkeit, Krieg und Gewalt, zur Bewahrung der Schöpfung zu suchen und zu gehen.

Wenn es um meine Heimatstadt geht, bin ich befangen. Aber trotzdem drängt sich die Frage auf: Warum kommt dieses Weltereignis ausgerechnet nach Karlsruhe?

Es gab ein Signal des Ökumenischen Rats, dass die Vollversammlung diesmal entweder in Europa oder in Afrika stattfinden sollte. Innerhalb Europas fiel dann die Wahl auf Deutschland, das heißt auf die EKD, die offiziell die einladende Mitgliedskirche ist. Innerhalb der EKD setzte sich dann Baden – ich nenne bewusst die gesamte Region – gegen andere Bewerber durch, so dass der Weltkirchenrat ganz am Ende zu entscheiden hatte: Kapstadt oder Karlsruhe?

Was hat letztendlich den Ausschlag gegeben?

Wichtig war das Thema Versöhnung: Baden steht mit der Grenzlage zu Frankreich für gelungene Versöhnung nach einer langen Geschichte der Feindschaft. Darum ringen heute viele Länder, etwa auf dem afrikanischen Kontinent. Dass die badische und die elsässische Kirche eine enge Partnerschaft pflegen und diese Versöhnung mit vorantreiben, war sicher ein Argument.

Die traditionell ökumenische Ausrichtung hierzulande spielte wohl ebenfalls eine wichtige Rolle. Sie reicht bis in die Zeit der Markgrafen von Baden zurück. Da gab es einen katholischen und einen evangelischen Zweig, die miteinander auskommen mussten – und dies geschafft haben. Das prägt das Miteinander der Konfessionen bis heute. Das Erzbistum Freiburg hat unsere Bewerbung von Anfang an unterstützt und sich auch personell und finanziell auf großartige Weise an der Vorbereitung der Vollversammlung beteiligt. Ich erinnere mich an einen Empfang bei Erzbischof Stephan Burger während des Auswahlverfahrens, bei dem für alle Teilnehmenden spürbar war: Die Partnerschaft mit der katholischen Kirche gehört für uns einfach dazu, wir stimmen wesentliche Entscheidungen miteinander ab, wir sind auch geistlich tief verbunden. Die Ökumene umfasst in der Region aber auch noch viele andere Kirchen: die Orthodoxen, protestantische Freikirchen, internationale Gemeinden, die Altkatholiken. Sie alle waren frühzeitig eingebunden und begeistert dabei.

Unsere Bewerbung signalisierte zudem: Wir wollen die Delegierten während der Vollversammlung mit den Menschen vor Ort zusammenbringen, wir wollen alle Kirchen in der Region intensiv beteiligen, wir wollen über die Grenzen gehen und zeigen, wie ein gutes ökumenisches Miteinander möglich ist zwischen verschiedenen Kulturen und Sprachen, wie unsere Hoffnung in die Welt ausstrahlt. Ich glaube, dieses „Paket“ war am Ende ausschlaggebend – und hat sich ja auch im Motto niedergeschlagen.

Es lautet: „Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt“.

Gerade die deutsche Fassung finde ich sehr gelungen. Sie zeigt schon sprachlich – mit den drei Verben –, wie entscheidend es ist, dass wir uns als Kirchen bewegen. Wir sollen etwas tun: Versöhnung voranbringen, die Christenheit und möglichst die Welt einen – im Geist der Liebe Christi.

Von außen ist nicht ganz einfach zu greifen, was bei einer ÖRK-Vollversammlung passiert. Wie kann man sich die Tage in Karlsruhe vorstellen?

Spontan denken viele vielleicht an so etwas wie Kirchen- oder Katholikentag. Aber bei einer Vollversammlung geht es vor allem um die Gremien, die grundlegende Weichenstellungen treffen, und das gottesdienstliche Miteinander. Getagt wird zwar weitgehend öffentlich, aber in den Sitzungen geht es um Entscheidungen, die lange und gründlich zwischen den vielen Mitgliedskirchen vorbereitet worden sind. Da gibt es viel Textarbeit, auch Wahlen und vielleicht auch die eine oder andere Geschäftsordnungsdebatte.

Im ÖRK kommen die verschiedenen Kirchenfamilien zusammen – orthodox, pentekostal, protestantisch, uniert, reformiert –, in den meisten Debatten ist auch die römisch-katholische Kirche intensiv beteiligt, auch wenn sie nicht Vollmitglied ist. Jede Kirche bringt ihre Traditionen, Interessen und Perspektiven ein, so wie jedes Glied seine Bedeutung und Funktion in dem einen Leib Christi hat. Jede bringt ihre kulturellen Bindungen und die Konflikte, in denen sie im Moment steht, mit nach Karlsruhe. Und dann ist immer die Frage: Wie kommen wir gemeinsam weiter? Wie können wir einander beistehen? Welchen Weg weist uns die Liebe Christi?

Können Sie ein Beispiel nennen?

Bei der letzten Vollversammlung 2013 im koreanischen Busan hat der ÖRK den Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens gestartet. „Christinnen und Christen sowie alle Menschen guten Willens“ sind eingeladen, sich an ihrem Ort auf den Weg zu machen. Die Konflikte sind sehr unterschiedlich, aber uns trägt ein Glaube und eine Hoffnung: Wir richten uns auf eine neue Zeit aus, die von der Liebe Christi bestimmt ist.

Gerechtigkeit und Frieden – das umfasst so viel! Es fängt bei der Bewahrung der Schöpfung an. Genauso sind territoriale Konflikte angesprochen, die uns schon lange beschäftigen: etwa zwischen Nord- und Südkorea oder zwischen Israel und Palästina. Es reicht aber bis in den persönlichen Bereich, etwa den Umgang mit Sexualität. Vieles davon wird in den Kirchen weltweit doch recht unterschiedlich gesehen, ist zum Teil sehr umstritten. Auf der Vollversammlung suchen die Delegierten der einzelnen Kirchen nach Wegen, in diesen Konflikten und Unterschieden im Geist Christi handlungsfähig zu werden und damit auch Impulse in der Welt zu setzen.

Als Gastgeber hat die EKD ihre Rolle und Aufgabe von Anfang an so verstanden, Begegnungen zu ermöglichen, Räume für den Dialog zu öffnen und Orte für das geistliche Leben zur Verfügung zu stellen. Es ist wichtig wahrzunehmen, was die anderen freut oder beschwert, was sie beschäftigt. Wir sind als Christenmenschen zunächst einmal Lernende und Zuhörende – und bringen dann das ein, was uns am Herzen liegt, was wir als unsere Gabe zur Ökumene beizutragen haben. Oft geht es um die Frage: Wie viel Differenz können wir aushalten bei dem gemeinsamen Ziel, den christlichen Glauben weiterzugeben? Schon in der Bibel gibt es Konflikte, die sich nicht einfach auflösen lassen – und doch bleiben wir Geschwister in dem einen Glauben.

Schlimmstenfalls könnte es ja so sein, dass die Krisen der Welt sich bei einem Kirchentreffen einfach fortsetzen. Oder ist im ÖRK eine andere Haltung zu spüren? Stichwort: „Bei euch aber soll es nicht so sein“ (Mk 10,43)

Als Kirchen kommen wir an den Krisen der Welt nicht vorbei. Das ist wie mit der „Inkarnation“: Gott wurde Mensch – und Jesus ging an den Konflikten seiner Zeit nicht vorbei. Er hat sie erlebt, auch erlitten, und dann versucht, in ihnen andere, neue Wege zu bahnen. Auch wir als Kirchen stehen in der Welt und müssen wahrnehmen, wie sehr uns das prägt. Denken Sie nur daran, dass von badischen Kanzeln 1914 noch für den Krieg gegen den Erzfeind Frankreich gepredigt wurde.

Doch der Blick auf das Kreuz, die Freude, dass Christus an Ostern die Mächte des Todes überwunden hat, macht uns Mut und gibt uns Kraft, dass wir die gesellschaftlichen Konflikte um uns herum nicht einfach verdoppeln – sondern uns dafür engagieren, dass sich neue Perspektiven eröffnen. Nehmen Sie den Krieg in der Ukraine. Da ist es entscheidend, dass wir Distanz zur politischen oder gar militärischen Agenda halten und dafür eintreten, dass Menschen frei von Angst und Gewalt in Freiheit leben können – anders als es die russisch-orthodoxe Kirche oder zumindest Patriarch Kyrill im Moment tun. Zugleich haben wir als Kirchen den Auftrag Christi zu erfüllen, auch da Frieden zu stiften und gewaltfreie Wege der Konfliktlösung zu suchen, wo andere nur noch Wege der Gewalt sehen. Wir müssen Gespräche suchen und fördern, gerade auch mit denen, die derzeit als Feinde gelten; das ist ja die besondere Botschaft des Christentums!

Insbesondere der Umgang mit der russisch-orthodoxen Kirche wurde kontrovers diskutiert. Wie soll es jetzt werden?

Es gab Stimmen, die den Ausschluss der russisch-orthodoxen Kirche gefordert haben. Doch die überwältigende Mehrheit der Mitgliedskirchen hat sich für deren Teilnahme ausgesprochen, was ich persönlich für richtig halte. Der Weltrat der Kirchen hat ja nicht die Aufgabe, einfach den Linien der Politik zu folgen.

In der Politik gibt es nach dem völkerrechtswidrigen russischen Überfall auf die Ukraine gute Gründe für eine strikte Abgrenzung von Russland. Wir aber sollten in Kontakt bleiben und insbesondere das Gespräch mit den vielen orthodoxen Persönlichkeiten suchen, die kritisch zu den nationalen Vorgaben von oben stehen. Wichtig ist, dass die ukrainischen Kirchen und Christenmenschen, auch die, die bisher zur russisch-orthodoxen Kirche gehörten, in Karlsruhe zu Wort kommen. Vielleicht ergeben sich so Möglichkeiten für Gespräche, die derzeit in der Politik nicht möglich scheinen. Wir haben das auch im Ost-West-Konflikt erlebt: Denken Sie etwa an die Ostdenkschrift der evangelischen Kirche oder den Briefwechsel der polnischen und deutschen Bischöfe, die – mitten im Kalten Krieg – Schritte zur Versöhnung ermöglicht haben.

Wenn wir auf das Verhältnis der Kirchen zueinander schauen: Wie lebendig ist eigentlich die Ökumene noch? Was passiert im Weltrat zwischen den Kirchen selbst?

Die weltweite Ökumene ist und bleibt ein zentrales Thema. Leider spielt die internationale Partnerschaftsarbeit in vielen Kirchen und Gemeinden, auch in Deutschland, derzeit nicht so eine große Rolle, wie es noch bis in die 1990er-Jahre der Fall war. Auch die bilaterale evangelisch-katholische Ökumene bei uns wird inzwischen oft vor allem funktional verstanden – nach der Devise: „Wenn die Kirchen kleiner werden, dann muss man eben vielleicht Kirchen, Gemeindehäuser oder Pfarrbüros gemeinsam nutzen.“ Das ist aber zu wenig. Es geht um den Auftrag Jesu, dass alle eins seien, dass wir gemeinsam beten, gemeinsam Gottesdienst feiern und gemeinsam in Wort und Tat Zeugnis ablegen in der einen Welt.

Was wäre angemessen?

Mein Verständnis von Ökumene gründet im biblischen Bild vom Leib Christi. Die Kirche Jesu Christi ist größer als jede einzelne der verfassten Kirchen, auch wenn das römisch-katholisch etwas anders gesehen wird. Wir müssen uns in der Ökumene Fragen stellen wie: Was haben wir mit unserer speziellen Tradition einzubringen? Was ist unsere Gabe? Was würde der Kirche Jesu Christi fehlen, wenn es zum Beispiel Mennoniten oder Orthodoxe … nicht gäbe? Wie können wir jeweils auch für die anderen Christus sein, wie können wir an deren Schmerzen, an deren Freuden teilhaben? Wie profitieren wir auch jeweils von den anderen? Was trägt wer zur Lebendigkeit dieses Leibes bei, zu seiner Beweglichkeit, zu seiner Stärke, zu seiner geistlichen Fundierung?

Deshalb ist das dynamische Motto der Vollversammlung – bewegen, einen, versöhnen – natürlich gerade auch innerkirchlich wichtig. Es ist zuerst die Liebe Christi, die uns bewegt, versöhnt und eint. Diese Bewegung nehmen wir auf, von ihr lassen wir uns bewegen. Das muss nach außen, aber eben auch in unserem Miteinander deutlich werden.

Hat der Weltkirchenrat bei so vielen zwischenkirchlichen Aufgaben eigentlich auch noch die anderen Weltreligionen im Blick? Hans Küng hat ja zu Recht gemahnt: „Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen“…

Ja, der Weltkirchenrat sieht sich hier in einer besonderen Verantwortung. Zum ersten Mal stellte man sich 1961 in Neu Delhi dem Dialog der Religionen. Aber vor allem seit der siebten Vollversammlung 1991 im australischen Canberra wird die Notwendigkeit einer geistlichen Erneuerung der Menschheit im Miteinander der verschiedenen Religionen formuliert.

In Karlsruhe wird dieses Thema ebenfalls eine Rolle spielen, insbesondere auch im Blick auf Gespräche mit dem Judentum und dem Islam. Aus unserer spezifischen Situation heraus soll zudem das Thema Säkularisierung angesprochen werden. Es ist ein sehr europäisches Phänomen, dass Religionsfreiheit vor allem als Möglichkeit der Religionslosigkeit verstanden wird. Weltweit dagegen spielen Religionen nach wie vor eine große gesellschaftliche Rolle und in vielen Ländern müssen die Religionen, gerade auch das Christentum, um ihr Recht kämpfen, ihre Religion auszuüben.

Was soll von Karlsruhe bleiben?

Kurz gesagt: die Erfahrung, dass Christi Liebe die Kirchen und die Welt bewegt, versöhnt und eint – so wie es im Motto formuliert ist. Dabei müssen wir als Kirchen insbesondere deutlich machen, dass all das nicht in erster Linie unser eigenes Werk ist. Sondern weil wir aus der Liebe Christi leben, weil wir uns von Gottes Geist bewegen lassen, wächst in uns die Kraft und die Möglichkeit, selbst an dieser Bewegung der Liebe Christi teilzuhaben und selbst zur Versöhnung beizutragen.

Das könnte die Botschaft an die Welt sein: Denkt nicht, dass Konflikte, die jetzt unlösbar scheinen, für immer unlösbar sind. In der Liebe Christi sind alle Dinge möglich – dass Feinde sich versöhnen und Feindesliebe Kriege beenden kann. Dass wir eine gerechte Lösung finden für die Fragen des Klimawandels; wobei gerecht heißt, je nach Kontext unterschiedlich. Wir im Norden müssen als einzelne Menschen wie als Staaten mutiger entscheidende Schritte gehen, weg von diesem „immer mehr, immer größer, immer weiter“ hin zu einer „Ethik des Genug“. Es gibt genug für alle, wenn es für mich selbst und für uns als Gesellschaft auch ein Genug gibt, wenn wir bewusst bereit sind, Grenzen anzunehmen.

Für unsere Kirchen in Deutschland und Europa wünsche ich mir, dass die Vollversammlung in Karlsruhe ein Hoffnungszeichen wird, das uns sagt: Habt nicht so viel Sorge um euch selbst! Vertraut darauf, dass Christi Liebe stark ist und dass sie euch tragen wird – und dass auch die innerkirchlichen Krisenphänomene in dieser Liebe zu überwinden sind.


Zum ersten Mal findet eine Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) in Deutschland statt. Vom 31. August bis zum 8. September werden etwa 800 Delegierte aus den etwa 350 Mitgliedskirchen in Karlsruhe erwartet.

Infos unter www.oikoumene.org sowie unter www.karlsruhe2022.de

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