Serie "Die Verdächtige"Schwester, Mutter, Mörderin?

Der Tod einer Patientin wirft Fragen auf. Eine vierteilige ARTE-Serie bringt das ganze Gesundheitssystem auf die Anklagebank.

Hana (gespielt von Klara Meliskova) ist Krankenschwester in einem tschechischen Dorf und tief in ihrem Glauben verwurzelt. Bevor sie ins Bett geht, bekreuzigt sie sich. Jede Nacht schläft sie unter dem Bild eines Schutzengels. Und wenn jemand stirbt, öffnet sie ein Fenster, „damit die Seele rausfliegen kann“. Das passiert regelmäßig, denn Hana pflegt auf ihrer Krankenhausstation Menschen an der Schwelle zum Tod. Deswegen macht sich zunächst keiner Gedanken, als eines Nachts unter ihrer Aufsicht eine Patientin stirbt. Erst als bei einer Blutuntersuchung Unregelmäßigkeiten gefunden werden, wird Alarm geschlagen. Hana hatte der alten Dame kurz zuvor noch eine Infusion gelegt. Und plötzlich steht ein ungeheurer Verdacht im Raum: Hat sie die Patientin getötet – entweder versehentlich oder mit voller Absicht? Noch bevor Hana weiß, wie ihr geschieht, sitzt sie schon in Untersuchungshaft und die Staatsanwaltschaft gräbt mehr und mehr Fälle aus, bei denen die Todesursache nicht eindeutig geklärt wurde. Steckt hinter der Fassade der unauffälligen Krankenschwester eine Serienmörderin?

Die vierteilige Serie Die Verdächtige lässt sich Zeit, diese Frage zu beantworten. Der Zuschauer tappt lange im Dunkeln, was genau in der Nacht im Krankenhaus passiert ist. Immerhin wird schnell klar, dass hier auf dieser Station, auf der Menschen mit dem Tod ringen, ganz eigene Gesetze zu gelten scheinen. All die ethischen Fragen nach Menschenwürde und dem Umgang mit dem Sterben, die so oft theoretisch behandelt werden, stellen sich hier ganz praktisch: Was macht es mit einem Arzt, wenn er einen Patienten nicht retten darf, weil der keine lebenserhaltenden Maßnahmen wünscht? Wie geht man mit einer Demenzpatientin um, die auf der Suche nach ihren längst erwachsenen Kindern durch die Flure irrt? Und welche Sterbehilfe sollte erlaubt sein, wenn jemand tatsächlich genug vom Leben hat? Den Filmemachern gelingt es, die alltäglichen Kämpfe in dieser Welt zwischen Leben und Tod in starken Szenen einzufangen. In der ersten Folge wirft sich ein Arzt auf den Körper einer Patientin, deren Herz plötzlich versagt hat. Mit Herzdruckmassage und Elektroschocks versucht er sie ins Diesseits zurückzuholen – vergeblich. Dann schwenkt die Kamera weiter zur Bettnachbarin, die den Todesfall trocken kommentiert: „Jetzt hat sie wenigstens ihre Ruhe.“

Wo Menschen mit dem Tod ringen, scheinen ganz eigene Gesetze zu gelten.

Und noch eine Frage schwingt mit, erst zwischen den Zeilen, dann immer deutlicher ausgesprochen: Was muten wir den Pflegekräften zu, die körperlich und psychisch an ihre Grenzen kommen, wenn sie in immer engeren Dienstplänen für immer mehr Patienten sorgen müssen? Die Pflegesituation scheint in Hanas Dorf nicht anders zu sein als hierzulande. Im Lauf der Serie lernen wir einen Politiker kennen, der mit dem Thema gerne Wahlkampf macht und die Anliegen der Pfleger und Krankenschwestern sofort wieder vergisst, sobald er im Amt ist. Eine ehemalige Oberschwester hat genug vom „Irrenhaus“ auf ihrer Station und lässt sich wenige Jahre vor der Rente lieber in die Notaufnahme versetzen. Unter der Dauerbelastung leiden alle, ist sie überzeugt. „Wir müssen zugeben, dass die heutige Medizin die wirklichen Bedürfnisse der Patienten vergisst“, heißt es irgendwann. Und auch Hana, die sich im Umgang mit anderen eigentlich eine harte Schale zugelegt hat, bricht irgendwann zusammen: „Ich habe nur gearbeitet, Überstunden gemacht, samstags und sonntags geschuftet wie ein Ackergaul.“ Die erzwungene Auszeit in Untersuchungshaft gibt ihr Gelegenheit, über ihr ganzes bisheriges Leben nachzudenken.

Dabei zeigt sich auch, auf wen sich Hana in dieser schweren Zeit verlassen kann – und auf wen nicht. Noch bevor alle Beweise gesichert sind, haben viele ihr Urteil gefällt. Ehemalige Kolleginnen fallen ihr in den Rücken, und die Nachbarn überbieten sich gegenseitig mit immer wilderen Anschuldigungen gegen die angebliche Mörderin. Nur Hanas Tochter Tereza (Denisa Baresova) hält zu ihr. Die beiden hatten nie das beste Verhältnis, aber jetzt, wo es darauf ankommt, opfert sich Tereza für ihre Mutter auf. Eigentlich wollte sie nach dem Schulabschluss um die Welt reisen, um im Ausland zu jobben, jetzt verkauft sie ihr Ticket. Immerhin muss sie mehrere Gutachten bezahlen, damit Hana überhaupt eine Chance vor Gericht hat. Tagsüber steht Tereza in einer Fabrik an der Maschine, um Geld für den Anwalt zusammenzubekommen. Gestresst und übermüdet passt sie einmal nicht auf, greift in die Maschine und bleibt mit einer Wunde an der Hand zurück. Man kann das als Stigma-Zeichen der opferbereiten Tochter sehen. Oder als ein Beispiel dafür, wie schnell man zwischen die Räder eines unmenschlichen Systems geraten kann. Sei es am Fließband, auf einer überarbeiteten Krankenstation oder vor Gericht.


DIE VERDÄCHTIGE
Tschechische Republik, Frankreich, Deutschland 2022; Regie: Michal Blasko; Länge: 4 Folgen je ca. 50 Min.
Die Serie wird am Donnerstag, 1. September, ab 22 Uhr auf ARTE gezeigt und ist bis Ende September in der Mediathek zu sehen.

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