ReligionskritikDie Vergöttlichung des Menschen

Ludwig Feuerbach stellte das Verhältnis von Gott und Mensch auf den Kopf und bleibt damit eine theologische Heraus-forderung. Der bedeutende Religionskritiker starb am 13. September vor 150 Jahren.

Statt „Kandidaten des Jenseits“ wünschte sich Ludwig Feuerbach „Studenten des Diesseits“ (Holzstich, 1876).
Statt „Kandidaten des Jenseits“ wünschte sich Ludwig Feuerbach „Studenten des Diesseits“ (Holzstich, 1876).

Sein Leben lang hat Ludwig Feuerbach mit Gott gekämpft, und beide haben dabei gewonnen.“ So brachte der Schriftsteller Hermann Kesten die innere Spannung zum Ausdruck, die das Werk Feuerbachs durchzieht: Vom wissbegierigen Theologen wurde er zu einem der bedeutendsten Religionskritiker der Neuzeit. Sein Kampf war dabei weniger ein Kampf mit Gott als ein Kampf um das, was sich hinter dem Wort Gott verbirgt. Religion war für ihn etwas Menschliches – aber auch nicht mehr.

„Nicht Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, wie es in der Bibel heißt, sondern der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde“, resümiert Feuerbach in seinen Vorlesungen über das Wesen der Religion. Gott gewinnt hier nur insofern, als der Mensch die Eigenschaften Gottes in seinem eigenen Wesen entdeckt. Gott ist somit aufgehoben – nämlich überwunden und gleichzeitig geborgen – in der Selbsterkenntnis des Menschen. Mit dieser Umkehrung der Verhältnisse wurde Feuerbach zum Initiator einer epochalen Wende in der Philosophie und bleibt bis heute der sprichwörtliche Stachel im Fleisch der Theologie.

Feuerbachs Hang zum Revolutionären war in der Atmosphäre seines aufgeklärt-protestantischen Elternhauses grundgelegt. Am 28. Juli 1804 wurde er in Landshut geboren, wo sein Vater, der bedeutende Jurist Paul Johann Anselm von Feuerbach, beauftragt war, das bayerische Rechtssystem nach Vorbild des napoleonischen Code civil zu reformieren. Beim örtlichen Rabbiner nahm Ludwig Feuerbach bereits während seiner Schulzeit Hebräischunterricht, um sich auf das Theologiestudium vorzubereiten. Als er dieses jedoch in Heidelberg begann, stieß ihn die konservative Lehre der meisten Professoren ab. Er wandte sich der Philosophie zu und wurde ein begeisterter Anhänger Hegels, begab sich sogar für mehrere Semester nach Berlin, um den großen Philosophen persönlich zu hören.

Zurück in Bayern widmete sich Feuerbach einer weiteren Leidenschaft: der Natur. Er schrieb sich in Erlangen für Botanik, Anatomie und Physiologie ein und schloss gleichzeitig seine philosophische Dissertation ab. Seine eigene Vorlesungstätigkeit musste Feuerbach schon nach kurzer Zeit abbrechen, als seine Erstlingsschrift über Tod und Unsterblichkeit wegen ihres religionskritischen Inhalts verboten wurde. Die akademische Karriere war damit trotz des späteren Erfolgs verbaut. Einen Großteil seines Lebens verbrachte Feuerbach fortan auf dem Schlossgelände einer Porzellanmanufaktur in der Nähe von Ansbach, an der seine Frau Bertha Löw Anteile besaß und wo er ungestört arbeiten konnte.

Durch seine als intellektuelle Befreiung wahr- genommene Religions- und Idealismuskritik wurde Feuerbach zu einer Leitfigur der politischen Vormärz-Bewegung. Er unterstützte die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, für die er sich selbst – wenn auch erfolglos – um ein Mandat bewarb, und trat 1869 in die kurz zuvor gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei ein. Als die Porzellanfabrik seiner Frau bankrottging, musste Feuerbach mit der Familie in ein kleines Haus in Rechenberg vor den Toren Nürnbergs ziehen und von den Spenden privater Unterstützer leben. Am 13. September 1872 starb Ludwig Feuerbach an einer Lungenentzündung. Das Begräbnis wurde von einer großen Menschenmenge sowie einer sozialistischen Kundgebung begleitet.

Während seiner Zeit in Erlangen bewegte sich Feuerbachs Denken zunächst noch ganz in den Bahnen der Hegel’schen Philosophie. Erst als er aus diesen heraustrat und zum scharfen Kritiker des Idealismus wurde, gewann er an Bekanntheit. Durch seine Beschäftigung mit den Naturwissenschaften war dem jungen Dozenten ein grundlegendes Problem der neuzeitlichen Philosophie aufgefallen: Weil für sie die Vernunft als höchstes Prinzip galt und die gesamte Welt vom Geistigen bestimmt war, hatte sie das Dingliche aus dem Blick verloren. Hegel verstand den Lauf der Geschichte als Entfaltung des Weltgeistes im Bewusstsein des Menschen. Die Natur war in diesem Prozess nur das Material, an dem sich der Geist abarbeitete – ohne eigenen Wert. Geist und Materie fanden im Denksystem des Idealismus zu keiner Einheit mehr.

Feuerbach dagegen betont neben der Vernunft des Menschen auch seine Sinnlichkeit und gesteht auf diesem Weg der Natur eine eigene Qualität zu – eine grundlegende Neugewichtung, die bis in die ökologischen Fragen unserer Zeit fortwirkt. Und auch die Tatsache, dass wir Geist und Materie gleichermaßen als bestimmend für unser Leben wahrnehmen, zeigt, wie selbstverständlich wir heute auf dem Boden von Feuerbachs Denken stehen.

Seine philosophische Kritik gilt maßgeblich dem Freiheitsverständnis des Idealismus. Zwar hatte Hegel erklärt, das Wesen des absoluten Geistes und damit das Ziel der Geschichte sei die Freiheit. Jedoch betrachtete er jeden konkreten Moment der Geschichte, jedes einzelne Menschenleben nur als notwendigen Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung dieses Ziels. Mit Hegels Verständnis von Freiheit als „Einsicht in die Notwendigkeit“ kann sich Feuerbach nicht zufrieden- geben. Seine Philosophie hat eine ganz lebenspraktische Motivation: Er will die Gestaltungskraft des Menschen freisetzen und ihn zum mündigen Einstehen für eine gerechtere Welt ermutigen.

Diesem Anliegen entspringt auch Feuerbachs Religionskritik. Mit Ablehnung beobachtet er – wir befinden uns im Zeitalter der Restauration –, wie sich die Mächtigen der „Christentümelei“ bedienen, um die Bevölkerung in die vorrevolutionäre Ständegesellschaft zurückzudrängen, und wie die Kirchen dieses Vorhaben bereitwillig unterstützen.

Feuerbach möchte dafür sorgen, dass „der Mensch endlich aufhöre, eine Beute, ein Spielball aller jener menschenfeindlichen Mächte zu sein, die sich von jeher, die sich noch heute des Dunkels der Religion zur Unterdrückung des Menschen bedienen.“ Dazu hat er die aufklärerische Polemik vom „Pfaffenbetrug“ an den Menschen hinter sich gelassen. Zu Nietzsches späterem „Gott ist tot“ kann und will er sich nicht durchringen. Ihm liegt nicht daran, Gott zu töten. Stattdessen versucht Feuerbach, die Religion als anthropologisches Phänomen ernst zu nehmen. Er will ihrem Wesen auf den Grund gehen, um sie aus der politischen Vereinnahmung zu befreien.

Mit seiner 1841 veröffentlichten Schrift Das Wesen des Christentums erlangt Feuerbach schlagartig Berühmtheit. Darin formuliert er seine zentrale religionsphilosophische Einsicht, wonach der Glaube an Gott eine bildhafte Verabsolutierung menschlicher Eigenschaften ist: „Gott ist der Spiegel des Menschen“ – „das offenbare Innere, das ausgesprochene Selbst des Menschen“.

Weil der Mensch sterblich ist, stelle er sich Gott als unsterbliches Wesen vor. Weil seine Macht und seine Liebesfähigkeit begrenzt sind, hoffe er auf einen allmächtigen und barmherzigen Gott. Tatsächlich lägen diese Eigenschaften aber im Menschen selbst, „verehrt als ein andres, von ihm unterschiednes, eignes Wesen“. Damit verliert die Religion zwar ihre übernatürliche Legitimation, wird aber gleichzeitig zu einer wichtigen Erkenntnisquelle in der Frage nach dem Wesen des Menschen. Theologie wird zur Anthropologie.

Häufig wird Feuerbachs Religionskritik mit dem Begriff der Projektion erklärt, jedoch verwendet der Philosoph den Ausdruck selbst nie. Und wird Projektion im Sinne einer menschlichen Einbildung verstanden – wie das in heutigen atheistischen Strömungen oft der Fall ist –, verkennt man ein wesentliches Anliegen Feuerbachs: Ihm geht es zuvorderst nicht darum, Religion als psychische Fehlleistung des Menschen zu entlarven. Vielmehr will er die erhaltenswerten Inhalte hinter den religiösen Bildern freilegen und zu neuer Geltung bringen.

Feuerbachs Ziel ist eine Aufhebung der Religion im dreifachen Sinne: Er negiert zwar die Religion, indem er Gott nicht mehr als personales Gegenüber, sondern als nach außen verlagerte Sehnsüchte des Menschen versteht. Gleichzeitig – so der Anspruch – konserviert er die Religion aber und hebt sie auf eine höhere Ebene, da ihre Inhalte nun als Wesenseigenschaften des Menschen erkannt werden und ihre Wirkung entfalten können.

Die höchste Religion ist für Feuerbach das Christentum, weil hier Gott als vollkommene Liebe gedacht werde. Da aber Gott seinem Verständnis nach nur das nach außen gespiegelte Wesen des Menschen ist, liegt es am Menschen selbst, diese Liebe umzusetzen. Diese Erkenntnis soll den Menschen motivieren, sich mit allen Sinnen und Kräften der Welt und seinen Mitmenschen zuzuwenden: „Homo homini Deus est (Der Mensch ist dem Menschen Gott) – dies ist der oberste praktische Grundsatz, dies der Wendepunkt der Weltgeschichte.“

In seinen 1848/49 gehaltenen Heidelberger Vorlesungen über das Wesen der Religion entfaltet Feuerbach diesen Gedanken weiter: „Der Zweck meiner Schriften, so auch meiner Vorlesungen, ist: die Menschen aus Theologen zu Anthropologen, aus Theophilen zu Philanthropen, aus Kandidaten des Jenseits zu Studenten des Diesseits, aus religiösen und politischen Kammerdienern der himmlischen und irdischen Monarchie und Aristokratie zu freien, selbstbewussten Bürgern der Erde zu machen.“ Feuerbach hält seine Vorlesungen im großen Rathaussaal – nicht nur, weil die Universität Heidelberg keine Räume zur Verfügung stellen wollte, sondern auch, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Rund zwei Drittel der Zuhörer waren Bürger, Handwerker und Arbeiter.

Der politischen Dimension seiner Philosophie ist sich Feuerbach durchaus bewusst: Wenn die Menschen ihren Auftrag nicht mehr im Erwerb des Jenseits, sondern in der Umgestaltung des Diesseits sehen, würden sie von sich aus nach Selbstbestimmung und politischer Freiheit streben. Dieses revolutionäre Potential erkannten auch Karl Marx und seine Anhänger. In einem Brief an Feuerbach begrüßte er dessen Arbeit euphorisch: „Sie haben – ich weiß nicht, ob absichtlich – in diesen Schriften dem Sozialismus eine philosophische Grundlage gegeben, und die Kommunisten haben diese Arbeiten auch sogleich in dieser Weise verstanden.“

Durch die intensive, aber auch verkürzende Rezeption bei Marx und Engels verlor Feuerbachs Werk in der weiteren Wirkungsgeschichte seine theoretische Eigenständigkeit und geriet zunehmend in Vergessenheit. Heute dürfte es kaum einen Philosophen geben, der zugleich derart berühmt und unbekannt ist.

Zum zweihundertsten Geburtstag Feuerbachs erschien 2004 nach beinahe hundert Jahren erstmals wieder eine großangelegte Biografie über ihn. Im Titel ehrt Josef Winiger den Religionskritiker als „Denker der Menschlichkeit“. Habe er den Menschen doch wie kaum ein anderer zu neuem Bewusstsein seiner selbst geführt und damit die Grundlagen der modernen Humanwissenschaften gelegt.

Und die Religion? Was bleibt von ihr übrig nach ihrer Feuerbach’schen Aufhebung?

Für den Freiburger Fundamentaltheologen Magnus Striet ist Feuerbachs Infragestellung des Gottesglaubens zugleich nachvollziehbar und falsch: „Gewiss ist jeder Begriff von Gott immer auch ein menschliches Konstrukt. Es gibt kein unmittelbares Gottwissen.“ So weit folgt der Theologe dem Religionskritiker. Es stelle sich allerdings die Frage, warum allein aus der Einsicht in den menschlichen Ursprung unserer Bilder von Gott dessen Nichtexistenz folgen sollte. „Warum eigentlich soll kein Gott existieren können, der dem Menschen den Gefallen tut, so zu existieren, wie dieser ihn denkt? Einfach ausgeschlossen werden kann dies jedenfalls nicht.“

Tatsächlich gab es den Gedanken, Gott sei eine Spiegelung menschlicher Vorstellungen, lange vor Feuerbach. Der Theologe und Mystiker Nikolaus von Kues schrieb bereits Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts in seiner Betrachtung De visione Dei (Von der Schau Gottes): „Der Mensch kann nicht anders als auf menschliche Weise urteilen.“ Wenn er Gott ein Gesicht gebe, suche er deshalb kein Bild „außerhalb der menschlichen Art“, sondern eines, das seinem eigenen Wesen entspricht. Aus dem gleichen Grund „hielte ein Löwe, wenn er dir (Gott) ein Angesicht zuspräche, es für nichts anderes als löwenartig, ein Rind für rindartig und ein Adler für adlerartig.“

Neu ist bei Feuerbach indes, dass er die Ursprungsbeziehung zwischen Gott und Mensch auf den Kopf stellt: Für Cusanus stand die Existenz Gottes außer Frage und die Weise, wie er in der Vorstellung des Menschen erscheint, war ein gültiges Abbild seines göttlichen Urbilds. Feuerbach dagegen denkt den Menschen als Urheber seines Gottesbildes.

Das allein schließt die Existenz Gottes jedoch nicht aus, wie Striet zeigt. Folgt man seinem Einwand, denkt Gott in der Vorstellung des Menschen sich selbst. Die Aufgabe der Theologie wäre es dann abzuwägen, welche Gottesgedanken es wert sind, ihnen über ein reines Gedankenexperiment hinaus im Leben Glauben zu schenken.

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