Demut ist eine Tugend, die heute ein Schattendasein zu führen scheint. Allenfalls in der geistlichen Welt wird sie gerne zitiert, wenn jemand ein Amt antritt. Umso beeindruckender ist es, wenn eine Persönlichkeit von Rang und Namen nicht nur über Demut spricht, sondern sie wie selbstverständlich lebt, eine gesunde Demut, die nicht in Unsicherheit und Selbsterniedrigung abgleitet. Elizabeth II. war eine solche Persönlichkeit. Keiner der Nachrufe kommt ohne den Hinweis auf ihren 70-jährigen treuen Dienst für ihr Land, das Commonwealth und alle Bürger und Bürgerinnen aus. So wenig sich ihr königlicher Dienst erschöpfte, so unaufdringlich begleitete sie die ihr anvertrauten Menschen.
Wer in dieser Weise dient, hat eine Kraftquelle, die jenseits von Reichtum, Reputation und Status liegt. Die Kraftquelle der verstorbenen Queen war ihr Glaube an Jesus Christus, den sie einmal den „Anker meines Lebens“ nannte. Als weltliches Oberhaupt der anglikanischen Church of England eröffnete sie seit den 1970er Jahren deren Generalsynode. Ihre jährlichen Weihnachtsansprachen waren nicht nur eine Ermutigung für ihre Landsleute, sondern auch ein Zeugnis ihres Glaubens, den Papst Franziskus in seinem Beileidstelegramm als „unerschütterlich“ bezeichnet.
In ihrer Osterbotschaft in diesem Jahr stärkte die Monarchin alle Trauernden und Traurigen. Zum letzten Mal füllte sie öffentlich die Rolle aus, die ihrem Land und allen, die sie als Ratgeberin schätzten, so gutgetan hat: als Mutmacherin, die selbst der Tod letztlich nicht zu schrecken schien. „So düster der Tod auch sein kann, gerade für Trauernde – Licht und Leben sind größer.“ Dabei hat sie sicher nicht nur an das irdische Leben gedacht, sondern an das ewige Licht, das alle und alles umfängt – im Leben und im Tod. Diese Gewissheit hat sie getragen und schließlich „friedlich“ – so die Bekanntmachung ihres Ablebens – auf ihrer geliebten schottischen Sommerresidenz einschlafen lassen.
Mit einer Mischung aus Konsequenz und Güte ging Elizabeth II. mit strauchelnden Familienangehörigen um. Wer darüber staunt, wie sie dazu fähig war, findet einen Schlüssel in einer Überlegung aus dem Jahr 2011: „Vergebung ist die Grundlage des christlichen Glaubens. In der Vergebung erfahren wir die Kraft von Gottes Liebe.“ Dass ihre Worte Früchte des täglich gelebten Glaubens waren, bezeugte sie in einem Buch, das die Britische Bibelgesellschaft zu ihrem 90. Geburtstag herausgegeben hat: The Servant Queen and the King she serves – „Die dienende Königin und der König, dem sie dient“. Darin schreibt sie: „Ich war – und bin es immer noch – sehr dankbar für Ihre Gebete und für Gottes unerschütterliche Liebe. Ich selbst habe wirklich seine Treue erleben dürfen.“
Der Nachwelt hat die Monarchin im Corona-Jahr 2021 ihr vielleicht nachhaltigstes Vermächtnis hinterlassen. In ihrer letzten außerordentlichen Rede an die Nation weckte sie Hoffnung: „Lassen Sie uns alle Trost darin finden, dass auch, wenn wir noch mehr ertragen müssen, bessere Zeiten doch wieder kommen werden.“