Noch hat die Corona-Weltseuche den Höhepunkt nicht erreicht. Da denken Experten bereits darüber nach, was sein könnte, wenn das Virus beziehungsweise seine Varianten – hoffentlich – „friedlicher“ werden, wobei deren Schrecken wohl nie mehr aus dem Erdkreis verschwindet. Werden wir lernen, erträglich mit dem Krankheitserreger zu leben, und uns für künftige Epidemien besser wappnen? Oder ist das „Lernen aus der Geschichte“ nur eine Phrase? Wird man das große Leiden mit Abermillionen Toten und vielen, die womöglich ihr Leben lang an Spätfolgen der Erkrankung leiden, rasch verdrängen, so wie jetzt schon die Verstorbenen in den Nachrichten oft unterschlagen sind? Oder erhalten die Völker als „Nebenprodukt“ der Katastrophe ein „Kollateralglück“ innerer Umkehr und geistiger Erneuerung geschenkt?
Ökologie der Seele
Im günstigen Fall könnte nach der Phase des Herunterfahrens, des Abriegelns, der physischen wie psychischen Quarantäne eine neue Achtsamkeit entstehen dafür, wie wir alle voneinander abhängen, vom guten Willen, der Vorsicht und Fürsorge der Anderen. Statt einer Spaltung der Gesellschaft eine wiedererwachte Solidarität. Denn große Mehrheiten sind es ja, die in dieser schlimmen Zeit Rücksicht aufeinander nehmen, sich zurücknehmen, sich impfen lassen, auch um anderen nicht zu schaden. Nach manch erzwungenem Verzicht auf das, was wir sonst selbstverständlich materiell oder kulturell konsumieren, könnte eine Sensibilität wachsen für vieles, was zuviel ist: so dass wir in Zukunft zufrieden sind mit weniger in einer alltagspraktischen Askese, die der Ökologie der Seele ein Gleichgewicht verschafft wider schrankenlosen Materialismus und Aktionismus.
„Nun danket alle Gott...“?
Vielleicht setzt nach der Krise da und dort sogar eine religiöse Neubesinnung ein, weil uns unsere Endlichkeit stärker vor Augen tritt, verbunden mit der Hoffnung, dass mit dem bisschen Leben nicht alles aus ist. Einst eröffneten Krisenzeiten Hoffnungszeiten, Glückszeiten der Hinwendung auch zu Gott. Das Volk Israel, das, von Fremdherrschern unterjocht, ins Exil getrieben worden war, hat in der Freude über die Befreiung den zerstörten Tempel wiedererrichtet. Gott wurde mit dem äußeren zugleich ein inneres Haus gebaut, indem man sich auf seine Weisungen und Gesetze verpflichtete. Nach dem Zweiten Weltkrieg füllten sich die Gotteshäuser – wenn auch nur auf Zeit. Die Menschen stimmten froh das Gotteslob an: „Nun danket alle Gott…“ Der Choral wurde 1955 im Lager Friedland nach Ankunft der letzten deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion gesungen. Ebenso beim Mauerfall, bei der Wiedervereinigung Deutschlands. Ist das Hoffen nur ein frommer Wunsch, bloß ein Traum? Oder doch mehr, wie unter anderem der brasilianische Bischof Helder Camara sagte: „Wenn einer alleine träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, so ist das der Beginn einer neuen Wirklichkeit.“