BücherherbstGut leiden können

Was können wir in Zeiten der Krise aus dem Buch Ijob lernen? Immer noch eine ganze Menge, wie Ludger Schwienhorst- Schönberger zeigt.

Zwei Intuitionen haben mich bei der Kommentierung des Buches Ijob geleitet. Zum einen, dass Ijob in gewisser Weise ein Jedermann ist, zum anderen, dass das Buch am Ende eine Lösung präsentiert.

Das schwere Unglück, das den frommen und gerechten Ijob Schlag auf Schlag trifft, könnte den Eindruck erwecken, als ginge es hier um einen äußerst seltenen Fall. Wer verliert schon seinen ganzen Besitz, seine zehn Kinder und wird anschließend mit schwerem Aussatz geschlagen? Sicherlich gibt es, besonders in Kriegs- und Armutsgebieten, derartige Schicksalsschläge. Doch dass das Ijob-Buch auch in wohlhabenden Gesellschaften auf gleichbleibendes Interesse stößt, deutet darauf hin, dass hier eine Thematik zur Sprache kommt, die in der einen oder anderen Form jeden von uns trifft. Auch wenn man in jungen Jahren von vorzeitigem Tod und schwerer Krankheit in seiner Lebenswelt weitgehend verschont bleibt – irgendwann trifft es uns doch. Zudem spürt die Seele, dass diese Realitäten am Rande unseres Lebens lauern und jederzeit einbrechen können.

Bei Ijob kommt etwas Weiteres hinzu, das in den zivilisatorisch hoch entwickelten Gesellschaften an Macht und Einfluss gewonnen hat. Biblisch gesprochen ist es die Erfahrung der Gottesfinsternis. Auf dem Höhepunkt seiner Not klagt Ijob nicht mehr über seine unerträgliche Krankheit, sondern über die Gottlosigkeit, die ihn getroffen hat: Gott ist nicht mehr da. Mehr noch, er ist für ihn zu einem Feind geworden, zu einem Krieger, der ihn angreift. So nimmt er es wahr. In der säkularen Moderne nennen wir es die Erfahrung der Sinnlosigkeit.

In jeder authentischen Form von Spiritualität kann diese Dunkelheit auf Dauer nicht mehr verdrängt werden. Ijob geht einen Weg, in dem die Not ungeschminkt zum Vorschein kommt. Die Freunde meinen es zunächst gut mit ihm. Sie versuchen, ihn zu beruhigen, zu trösten, ihm das Geschehen zu erklären. Doch sie scheitern. Sie agieren wie Seelsorger, die es gut meinen, die aber die Tiefe der Not und ihre mögliche Überwindung nicht wirklich erfasst haben.

Und damit kommen wir zu meiner zweiten Intuition, die mich beim Schreiben des Buches geleitet hat. Am Ende wird das Ijob-Problem gelöst. Genau genommen gibt es zwei Lösungen: Zum einen wird Ijob wieder hergestellt. Er wird gesund, erhält seinen Besitz zurück und bekommt erneut zehn Kinder – eine Art Happy End. Interessanter finde ich eine zweite Lösung, die erzähltechnisch der soeben genannten vorausgeht, die also im Grunde die erste und grundlegende Lösung ist. Sie findet sich am Ende des Dialogteils in der Aussage Ijobs: „Vom Hörensagen nur hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich geschaut“ (Ijob 42,5).

Wie ist diese Aussage zu verstehen? Darauf gehe ich in meinem Kommentar ausführlich ein. Nimmt man die Aussage ernst, dann handelt es sich um eine Erfahrung, die Ijobs Not beendet, noch bevor er äußerlich wieder hergestellt wird. Er spricht von einer Erkenntnis, die ihm zuteilwurde (42,2). Ich nenne es ein „rettendes Wissen“. Dieses Wissen ist allerdings eine Form von Nicht-Wissen, ein nicht-propositionales Wissen, also ein Wissen, das man nicht in Sätzen (propositiones) mitteilen kann. Das hatten die theologisch gebildeten Freunde versucht, doch damit waren sie gescheitert. Interessant: Gott greift gar nicht ein, wie es in den Psalmen oft der Fall ist. Wenn man in diesem Zusammenhang von einem Theodizee-Problem sprechen will, so wird es nicht auf theologischer, sondern auf anthropologischer Ebene „gelöst“. Das macht das Ijob-Buch zu einem Buch, das anschlussfähig ist an das Selbstverständnis der Moderne.

Es geht um den Durchbruch in einen Erfahrungsraum, der im Grunde nichts anderes ist als die andere, die verborgene Seite der Wirklichkeit. In diesem dunklen Raum spricht Gott „aus dem Wettersturm“ das Wort, „das tröstet und befreit“. Dieses Wort, so bekennt der christliche Glaube, ist das Licht, das in die Welt gekommen ist und jeden Menschen erleuchtet. Das Ijob-Buch gibt uns keine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Leids; wohl jedoch erzählt es von einem Weg, der zu einer Antwort führt. Diesen Weg können wir auch heute gehen.

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