Krimidebut "Welt verloren"Melancholie des Abschieds

Gregor Maria Hoff hat als Theologieprofessor schon viel geschrieben – und jetzt auch einen Roman. Das sorgt für verblüffende Erkenntnisse.

 CHRIST IN DER GEGENWART: Ihr Roman „Welt verloren“ ist seit Juni auf dem Markt. Wie zufrieden sind Sie mit dem Start?

Prof. Gregor-Maria Hoff: Seit gestern gibt’s die zweite Auflage, also insofern… Insgesamt ist die Rezeption sehr, sehr schön. Ich habe fast den Eindruck, dass der Roman mehr Aufmerksamkeit erzeugt als die theologischen Texte, die ich schreibe.

Wie sind Sie als Professor für Fundamentaltheologie überhaupt darauf gekommen, einen Ausflug ins literarische Fach zu unternehmen – und warum ein Krimi?

Im Grunde ist die Theologie ein lebenslanger Ausflug in das Feld meiner literarischen Ambitionen. Ich habe in früheren Jahren bereits zwei Literaturpreise gewonnen, dann aber alles auf die Wissenschaft gesetzt. Geschrieben habe ich eigentlich immer, allerdings keinen Kriminalroman, obwohl „Welt verloren“ ja nur sehr bedingt ein Kriminalroman ist. Aber warum diese Form? Die drei Hauptfiguren – den Priester Jacob Beerwein, seinen Freund Melchior und den Kommissar Barth – verbindet Leben und Tod, und damit setzen wir uns auch in der theologischen Profession immer wieder auseinander. Es geht immer um Leben und Tod.

Was war beim Schreiben für Sie das Überraschendste? Was haben Sie über sich gelernt?

Besonders spannend für mich war, wie sich bestimmte Motive, die ich zwar ungefähr im Blick hatte, am Ende im Sinne einer strengen Komposition zusammengefügt haben. Dann hat mir das Buch eine Möglichkeit gegeben, der Auflösung von Christentum und Kirche nachzugehen, und darin den eigenen Ort im performativen Prozess des Schreibens und Erzählens zu bestimmen. Was erfahre ich darin? Eine ganze Menge über meine Gebundenheit und Ortsbindung im Sinne des Amen – „Ich stehe hier“.

Ihr Protagonist Jacob Beerwein macht es einem nicht einfach. Er ist grüblerisch, zögernd, faul. Warum musste er so sein, wie er ist?

(Überlegt lange.) Vielleicht ist es eine Art narratives Muss, wenn man über eine vergangene oder vergehende Welt erzählen will, die noch einmal eingefroren wird – der Schnee ist ja auch eine Todesmetaphorik, wenn man so will. Diese Anordnung, dieses Milieu fordert jetzt keinen Priester als jungen Revolutionär, sondern es ist in die Figur gefasst die Melancholie des Abschieds.

Jacob und Melchior haben nach der Schule ihren Freund Raven aus den Augen und aus dem Sinn verloren und fühlen sich deswegen schuldig. Aber geht es nicht uns allen mit früheren Freunden so? Ist das wirklich Schuld, ist das nicht eher schlechtes Gewissen?

Das empfinden Sie so. Aber die beiden fühlen Schuld. Das ist auch repräsentativ für eine ganz bestimmte Form von Katholizität, die einen falsche Schuldgefühle empfinden lässt. Ich möchte die Schuldmotive offenhalten, es gibt da keine klaren Zuweisungen.

Glaube und Kirche lösen sich auf. Wie geht es Ihnen persönlich damit – nicht als Autor, sondern auch als Theologe, als Christ?

Der Roman ist 2017 entstanden, also bevor ich persönlich sehr intensiv in die Missbrauchsthematik meiner Kirche involviert wurde. Bei der Vollversammlung der Bischofskonferenz in Lingen 2019, wo der Synodale Weg beschlossen wurde, habe ich ein Grundsatzreferat über Macht und Machtmissbrauch gehalten. Trotz der Durchschlagskraft der Missbrauchsberichte von Klaus Mertes 2010 war 2018/19 für mich der Umschlagspunkt: radikaler, systemisch konsequenter die Bedeutung von Missbrauch zu reflektieren. Da ist natürlich die Frage, was habe ich denn vorher getan, obwohl ich Dinge wahrgenommen habe. Ich habe das in meiner Ekklesiologie 2011 durchaus angesprochen, aber nicht in derselben Weise, wie ich es heute machen würde. Und das hat jetzt mit dem Roman und meiner persönlichen Glaubens- und Kirchensituation entscheidend zu tun: Der Roman bietet mir auch im Nachgang eine Partitur, mich selber in meinem Glauben zu verorten – an mehreren Punkten. Die Requiemspredigt von Jacob Beerwein zum Beispiel spiegelt meinen Glauben wider. Gerade habe ich während eines Forschungssemesters in Rom einen Essay verfasst über die Auflösung des römischen Katholizismus. Darin sehe ich unglaublich viele Chancen. Aber es wird eine ganz andere Kirche, ein ganz anderes Christentum werden. Ich glaube an dieses Evangelium, und ich glaube, dass dieses Evangelium sich immer wieder gegen alles durchsetzt.

Sie schaffen in „Welt verloren“ beeindruckende Sprachbilder, zum Beispiel: „Jacob schließt seine Augen, wie man eine Faust ballt.“ Wie gelingt Ihnen das? Fließt das aus Ihnen heraus, oder ist das manchmal auch ein Kampf?

Erstmal freue ich mich darüber am meisten, weil es am Ende um die literarische Qualität geht. Nur die entscheidet. Im Schreibprozess entstehen diese Bilder, ich suche nicht unmittelbar nach ihnen. Aber dann werden sie präzisiert, und ich muss an ihnen feilen. Ich bin kein Lyriker, aber hin und wieder schreibe ich literarische Fetzen. Ich notiere sie, und manchmal lässt sich daraus etwas machen.

Irgendwann ist Ihr Roman draußen, in der Welt, veröffentlicht. Wie ist das, wie fühlt sich das an?

Das ist die schönste publizistische Erfahrung meines Lebens. An keinem Buch, an keiner Publikation hatte ich so viel Freude wie jetzt.

Wie sieht die Zukunft von Jacob Beerwein aus?

Mein Buch soll ausgebaut werden, nicht zu einer Trilogie, sondern zu einem Triptychon. Der zweite Teil wird aus der Perspektive von Kommissar Barth erzählt und der dritte aus der Melchiors. Jedes Mal wird es am Anfang eine massive Überraschung geben, die die Erzählstruktur nicht auflöst, aber in Frage stellt. Ich setze mich da jetzt unter einen nicht unerheblichen öffentlichen Druck, indem ich das sage, weil ich das Ding ja noch schreiben muss.

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Hoff, Gregor Maria

Welt verloren

Echter Verlag, Würzburg 2022, 218 S., 14,90 €

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