Wo einhaken, wenn sich die Dinge derart überschlagen? Die Aktualität fordert uns als Wochenzeitung gerade besonders heraus. So erfolgte das „Beben von München“ – die Vorstellung des Gutachtens über sexuelle Gewalt im Erzbistum München und Freising von 1945 bis 2019 – letzte Woche genau zu der Zeit, als der CIG Nr. 4 bereits gedruckt und auf dem Weg zu Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, war. Und diese Ausgabe Nr. 5 musste in die Post, bevor wir hören konnten, welche Konsequenzen Kardinal Reinhard Marx aus der Veröffentlichung der Juristen zieht. Aber vielleicht ist das ja nicht nur schlecht. Zwar konnten wir nicht so unmittelbar reagieren wie tagesaktuelle Medien, aber dafür fällt unsere Analyse gründlicher und hintergründiger aus.
Ja, München ist nur eines in der Reihe mehrerer Gutachten. Es gab Aachen, Köln, Berlin, andere werden folgen. Und doch markiert es eine Zäsur. Denn dem umfassenden Ansatz der vom Erzbistum beauftragten (!) Kanzlei ist es zu verdanken, dass hier die Dinge wie nirgends sonst offen auf dem Tisch liegen. Es ist im Ergebnis ein „Multi-Systemversagen“ (katholisch.de) der Kirche. Und schon vor einem Jahr, nach Köln, haben sich viele gefragt: Wie kann es sein, dass Hirten so lange warten, bis ihnen Fehlverhalten juristisch nachgewiesen wird? Gibt es nicht noch einen anderen, entscheidenderen Kompass? Müsste es „bei euch“, bei uns (!), nicht anders sein? „Wie viele Gutachten braucht das Land noch, um sich dieser Situation zu stellen?“ Dieser Satz aus der Vorstellung der Untersuchung ist mir lange nachgegangen.
Und noch eine Wortmeldung hat mich letzte Woche beeindruckt. „Wir schaffen es nicht allein und brauchen den externen Blick und auch den Druck der Öffentlichkeit, damit sich was ändert“, hat der Bischof von Limburg, Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, erklärt. So deutlich und mutig hat das noch kein Bischof vor ihm gesagt. Darauf lässt sich aufbauen. Denn sicher: Es ist nicht so, dass nichts geschehen wäre an Aufarbeitung. Aber es ist eben noch nicht annähernd genug. Wir sind Johanna Beck vom Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz dankbar, dass sie für uns das Gutachten einordnet.
Ja, und dann war diese Woche noch „das größte Coming-out in der Geschichte der Kirche“, wie es ein TV-Sender etwas reißerisch ankündigte. Für den einen oder die andere mag sich hier der Zeitgeist zeigen. Für viele andere ist es ein mutiges Hoffnungszeichen. Realitäten werden wahrgenommen – und nicht mehr ausgeblendet. Weil bisweilen im Leben eben doch ist, was für manche nicht sein darf.