LeserbriefeEndlich Klartext!

In seinem Artikel „Ein beschädigtes Menschenbild“ (CIG Nr. 49, S. 3) rief der Theologe Hermann Häring dazu auf, das Dogma der Erbsünde zu überwinden. Dazu hatten Sie, liebe Leserinnen und Leser, viel zu sagen. Eine Auswahl.

Hier gehts zum diskutierten Artikel von Hermann Häring

Hermann Häring hat einen längst fälligen Nachruf auf die traditionelle Erbsündenlehre verfasst. In Fachkreisen ist er damit gewiss nicht der Erste; gut aber, dass der Nachruf nun endlich ein breiteres Publikum bekommt! Häring macht deutlich, wie auf dem Fundament der Erbsünde ein zwar in sich schlüssiges, aber von Grund auf schiefes Gebäude christlicher Glaubenslehre errichtet wurde. Zu Recht ruft er das Lehramt zur „Bekehrung“ auf.

Wie viele Kolleginnen und Kollegen klammerte ich „Erbsünde“ und „Satisfaktionstheorie“ im Unterricht und in der Verkündigung sozusagen ein und betonte das befreiende und solidarische Menschenbild des Evangeliums. Unausgesprochen aber blieb es eingehegt in die alte, große heilsgeschichtliche Erzählung von Schöpfung, Sündenfall, Erlösung. Diese „alte Erzählung“ hat sich in unser kulturelles Gedächtnis eingebrannt! Wer singt nicht alles zu Weihnachten „Welt ging verloren“?

Hans-Peter Weigel, Pfarrer i. R., Nürnberg

Auch mir wurde in Kindheitstagen noch vermittelt, Leistungen in Form von Buße und Pflichten erbringen zu müssen, um der ewigen Verdammnis zu entkommen, oder wie die Sprachregelung war, in den Himmel zu kommen. Leistungen waren für die Tilgung der Erbschuld zu erbringen (ohne überhaupt zu verstehen, um was es ging). Es brauchte Jahrzehnte, dieses negative Bild des per se sündigen Menschen abzulegen

Wolfgang Sekul, Ebersbach-Musbach

Endlich spricht ein Theologe Klartext! Endlich räumt er mit dem auf, was immer weniger glauben, die Kirchen aber ohne Unterlass lehren: mit dem Erbsündendogma und dem Menschenbild, das sich dahinter verbirgt. Die Konsequenzen sind dramatisch. Nicht für die Gläubigen, die sich längst verabschiedet haben, aber für diejenigen, die dies unerlässlich, insbesondere in der Eucharistiefeier, verkünden, genauer: von Amts wegen verkünden müssen.

Walter Lange, Castrop-Rauxel

Dass unser Menschsein und unser Menschenbild ambivalent-zwiespältig ist, ist doch keine böse Erfindung der Kirche. Man kann schon am kleinen Kind ab etwa zwei Jahren beobachten, dass sich neben der Anlage zum Guten, Liebenswerten auch die Anlage zum Recht- und Besitz-haben-Wollen, früher oder später zu Streit und Gewalt zeigt. Das gilt grundsätzlich für jeden Menschen, ist quasi vom Menschengeschlecht „geerbt“, theologisch als „Erbschuld“ bezeichnet. Vollständigerweise müsste aber auch von einer „Erbliebe“ oder „Erbgnade“ die Rede sein, weil beides im Menschen genetisch wesenhaft da ist. Von einem vergifteten Menschenbild, von Überwindung des Erbsündesyndroms zu sprechen, halte ich daher für falsch und irreführend.

Dass die Mutter Jesu als unserem irdischen Menschsein ganz nahe empfunden wird und sich doch der Gleichstellung auf eine Stufe mit uns – als Kumpelin wie du und ich – entzieht, macht ja gerade die Herausforderung aus: nicht als Idealisierung, sondern als Ansporn auf dem Weg. Es ist eben nicht alles gut – wie millionenfach täglich zu sehen und hören ist! Es bedarf des menschlichen Mühens, Korrigierens, Umkehrens! Wir alle sind in einem Prozess der Weiterentwicklung als „freie Kinder Gottes“ durch seine Barmherzigkeit.

Michael Schlüter, Hillesheim

„Die Frage ist meines Erachtens nicht, wie man dieses kirchliche Dogma überwinden kann, sondern eher, wie wir trotzdem von Menschenwürde reden können und wie der Glaube an Erlösung durch Jesus Christus zu verstehen ist.“

Das literarische Gleichnisbild vom Sündenfall im Paradies dürfen wir nicht wörtlich als Sachbericht übernehmen! Da klafft leider seit langem ein unüberwindlicher Graben zwischen den wissenschaftlich begründeten Ansätzen für eine uns Heutigen allgemein verständliche neue Theologie und der als unveränderbar geltenden verbindlichen Lehre des Vatikans. Irgendwann müssen wir doch diesen Graben überwinden. Glauben schließt doch den kritischen Verstand nicht aus, ja genau im Gegenteil! Die Haltung Credo quia absurdum est („Ich glaube, weil es widersinnig ist“) ist halt doch eine recht unvollständige Glaubensüberzeugung.

Henrik Müller, Gröbenzell

Solche Beiträge sind es wert, die Zeitung zu beziehen. Es hilft mir, mein laienhaftes Unbehagen an manchen Äußerungen und Zuständen in der Kirche besser zu verstehen. Es darf für noch so loyale und fromme Christen kein Denkverbot geben.

Gerlind Wiegand, Marburg

Der Artikel strotzt vor Verallgemeinerungen. Nur ein kleines Beispiel: Der Autor spricht von der „Neuzeit, die die Würde des Menschen neu entdeckt“. Ist das die Neuzeit, die in der antichristlichen „Vernunft“ der Französischen Revolution Terror und einen Eroberungskrieg hervorgebracht hat, die einen Marx hervorgebracht hat, dessen Folgen kommunistische Revolution, Stalin bis hin zu Putin und das kommunistische China sind? Und der Blick auf die jetzige Neuzeit: In dem Maße, wie das christliche Menschenbild seine Akzeptanz verliert, es bekämpft wird, kann das Bundesverfassungsgericht urteilen, die Selbsttötung sei eine verfassungsrechtlich gewährleistete Grundrechtsausübung, gibt es Bestrebungen, Abtreibung als ein Menschenrecht zu deklarieren, frühes menschliches Leben zu manipulieren. Soll das die neu entdeckte Würde des Menschen sein? Mich fröstelt bei diesem Gedanken.

Alfons Franz, Herford

Wie kommt das Böse in die Welt? Es ist allein der Mensch, der schwach und unvollkommen immer wieder versagt, sündigt – und so zum Urheber des Bösen wird. Wie schon Adam und Eva. Doch Sünde und Schuld verlangen nach persönlicher Verantwortung, nach individueller Vorwerfbarkeit bösen Tuns – will man den Menschen nicht entmündigen. Sünde und Schuld sind nicht vererbbar – ebensowenig wie das Himmelreich erbbar ist von den Heiligen. Der Beitrag von Hermann Häring ist brillant und überfällig.

Johannes Führt, Hagen

Sicher haben die Kirchen in der Vergangenheit mit dem Dogma der Erbsünde auch eine angstmachende Drohkulisse aufgebaut, aber die Tatsachen von immer wieder ausbrechenden Kriegen, Aggressionen, Misstrauen und Egoismen auf Kosten anderer und andererseits die Unfähigkeit der Gutwilligen sprechen doch dafür, dass wir Menschen ein dunkles „Erbe“ mit uns herumtragen. Die Frage ist meines Erachtens nicht, wie man dieses kirchliche Dogma „überwinden“ kann, sondern eher, wie wir trotzdem von Menschenwürde reden können und wie der Glaube an Erlösung durch Jesus Christus zu verstehen ist.

Alwin Linnenbrink, Menden

Die Erbsünde ist keine Sünde, sondern eine Veranlagung zur Sünde. Unter den Umständen der Erbsünde muss sich der Mensch für das Reich Gottes qualifizieren. Vollkommen gelingt es praktisch keinem Menschen, dieses Ziel zu erreichen. In diesem Fall kann ein barmherziger Gott weiterhelfen. Maria ist insofern von der Erbsünde befreit, als sie wohl die Anlage der Triebe hat, die jedoch nicht zur Auswirkung kommen. Das kann bei normalen Menschen für einzelne Triebe auch der Fall sein. Im Grunde ist die unbefleckte Empfängnis wahr, aber nicht nebulös komplex.

Karl Goser, Herrsching

Gewiss ist es ratsam, die biblische Paradiesgeschichte in ihrem Symbolgehalt ernst zu nehmen und darin all die Gefährdungen, Verstrickungen und Versuchungen menschlichen Lebens wiederzufinden, nicht zuletzt auf der weltpolitischen Bühne. Um kollektive Schuldzusammenhänge geht es da! Tiefenpsychologisch ist das längst ausgedeutet: etwa in der Rede von „Strukturen des Bösen“ (Drewermann) oder von „Grundformen der Angst“ (Riemann), die stets neu einer Vertreibung aus dem Paradies gleichen. Ein darauf fixiertes Menschenbild allerdings hat fatale Folgen für die Gläubigen und gehört zum „erbsündlichen“ Ballast kirchlicher Verkündigung bis heute.

Pfarrer Andreas Reichwein, Frankenberg

Der Schöpfungsmythos erzählt den Verlust des Paradieses und das Wissen um die Sterblichkeit in genialer Weise. Aber niemals, um Sexismus, Klerikalismus, sakramentale Abhängigkeit oder ewige Verdammung zu begründen. Müsste das Fest der Unbefleckten Empfängnis nicht dringend auf die ganze Menschheit ausgeweitet werden? Nur Gottes Augen sahen Maria in diesem Zustand. Ich meine, in seinen Augen ist das ganze Menschengeschlecht – trotz offensichtlicher Fehler und Schuld – gut und unbefleckt. Auch das Heilsgeschehen der Frohbotschaft gipfelt in den ausgestreckten Armen vom Karfreitag und will die Welt umarmen.

Peter Gehring, Gersau / Schweiz

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