EditorialKommunizieren

All die kirchlichen Entwicklungen der letzten Wochen, all die Nachrichten „machen“ etwas mit einem. Wir sind keine Computer, die Informationen einfach aufnehmen, abspeichern und verarbeiten. Sondern wirkliches Bewältigen – wenn es das im Letzten überhaupt gibt – bedeutet „Verdauen“.

Jetzt hat sich der emeritierte Papst also doch noch geäußert. Kurz vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe wurde die lang erwartete – und diesmal wohl tatsächlich persönliche – Erklärung Benedikts XVI./Joseph Ratzingers zum Münchner Missbrauchsgutachten veröffentlicht. Sie rief, wenig überraschend, ein geteiltes Echo hervor: Während die einen dem 94-Jährigen Respekt zollen, nennen andere die Reaktion „halbherzig“ und „seltsam“. Von einem „Dokument der Entfremdung“ spricht die Süddeutsche Zeitung, einem „weiteren Symptom der Krise“.

Wie geht es Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, mit all dem? Zu Recht erwarten Sie von uns eine professionell-sachliche Einordnung aktueller Vorgänge. Die liefern wir auch. Etwa wenn wir in dieser Ausgabe die gängigsten Vor- und Fehlurteile über sexualisierte Gewalt in der Kirche thematisieren. Wie hartnäckig sich solche „Mythen“ immer noch halten, war selbst bei manchen Wortmeldungen auf der jüngsten Synodalversammlung zu erleben.

Aber nochmal zurück zur Gefühlsebene und der Frage: Wie geht es einem, wie geht es Ihnen damit? All die Entwicklungen der letzten Wochen, all die Nachrichten „machen“ ja auch etwas mit einem. Wir sind keine Computer, die Informationen einfach aufnehmen, abspeichern und verarbeiten. Sondern wirkliches Bewältigen – wenn es das im Letzten überhaupt gibt – bedeutet „Verdauen“. Doch wie soll man all das überhaupt aufnehmen, was derzeit auf einen einprasselt? Es gebe kaum jemanden, der in diesen Tagen nicht über einen Kirchenaustritt nachdenkt, schilderte uns eine pastorale Mitarbeiterin ihre Erfahrungen. Besonders dramatisch empfinde sie es, mit welchen Fragen, ja mit welchem Misstrauen ihr Eltern gegenübertreten, die ihre Kinder eigentlich in die Kirche schicken wollen, etwa bei der Vorbereitung zur Erstkommunion.

Es gibt innerkirchlich die unterschiedlichsten Reaktionen auf die derzeitige Lage. In Aschaffenburg hat eine Pfarrgemeinde an drei Sonntagen den Gottesdienst ausgesetzt. Stattdessen soll der Kirchenraum für die Berichte von Betroffenen geöffnet werden – sicher eine drastische Maßnahme, die auch Fragen zum Liturgieverständnis aufwirft. Anderswo werden Kruzifixe verhüllt. Gemeinden machen offene Gesprächsangebote, bieten Sprechstunden an.

Vielleicht kann ein „Prophet“ unserer Zeit einen Impuls geben. Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt auf den anderen zugehen! Das hat der Schriftsteller Navid Kermani soeben als Motto in einem neuen Buch formuliert. Wäre nicht genau dies das Gebot der Stunde?

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