LeserbriefeErschütterungen

Als „Verrat an den Grundlagen des christlichen Glaubens“ haben die Autorinnen und Autoren des Münchner Missbrauchsgutachtens das Tun und Unterlassen der Verantwortlichen bezeichnet (vgl. CIG Nr 5 / 2022). Die Leserinnen und Leser haben das sehr kommentiert.

Erschüttert und entsetzt hat mich die Begründung des Erzbischofs, warum er den Umgang mit den Missbrauchsfällen seinen Mitarbeitern überlassen hat: „Als Erzbischof bin ich nicht primär mit administrativen Aufgaben befasst, sondern vorrangig mit der Verkündigung des Wortes Gottes, der Feier der Sakramente und der allgemeinen Hirtensorge für das Volk Gottes.“

Zur Hirtensorge gehört meines Erachtens aber auch, dass er sich selbst hinstellt, um das Gutachten in Empfang nehmen, statt seine Amtschefin und den Generalvikar vorzuschicken. Dass er sich nicht eine Woche Zeit lässt, eine Rede für eine Pressekonferenz zu schreiben. Ich möchte sehen und spüren, dass auch er erschüttert ist angesichts des Ausmaßes an Unrecht und Schrecken.

Jesus ist auf die Menschen zugegangen, hatte Mitleid mit ihnen. Nicht mehr, nicht weniger erwarte ich von Menschen, die von sich sagen, dass sie ihm nachfolgen.

Inge Höpfl, München


Es ist verständlich, dass sich Kardinal Marx nicht mit Verwaltungsaufgaben befasst hat. Doch gerade wenn er seine Aufgabe vorrangig in der „allgemeinen Hirtensorge für das Volk Gottes“ sieht, hätte er diese Hirtensorge doch auch so ausgestalten müssen, die ihm anvertraute Herde zu behüten.

Andrea Korte-Böger, Siegburg


Nach den schlimmen Verfehlungen auch unserer Hirten, die unsere Kirche zutiefst erschüttert und ihr Ansehen so schwer beschädigt haben, wird die Kirche zunächst in die Bedeutungslosigkeit sinken.

Erst wenn dann in dieser Schule der Geringschätzigkeit auch und vor allem die Kirchenleitung lernt, dass die gesamte Kirche Dienerin Gottes ist und nicht umgekehrt, wenn sie lernt, dass Gott es ist, der die Welt hält und entwickelt und dies nicht aufgrund der Meinung und der Wünsche der menschlichen Leitung der Institution Kirche geschieht, mag es der Kirche gelingen, Menschen wieder für Gott zu gewinnen, so ER denn will.

Matthias Wieczorek, Dortmund


Der emeritierte Papst Benedikt XVI. ist ein hervorragender Theologe, aber kein Jurist, einer der die Geistesgeschichte seiner Zeit kennt, weil er sie selbst erlebt hat. Er mahnt zu Recht an: Die Bewertungen müssen historisch richtig eingeordnet werden, das heißt in den damaligen zeitlichen Kontext, die damalige Rechtslage, den Zeitgeist und die damals herrschenden Moralvorstellungen. Dies als „erschreckende Kaltherzigkeit“ zu bezeichnen, ist unangemessen.

Prof. Bernold Picker, Bergisch Gladbach


Ein klares Wort zur rechten Zeit! Haben Sie herzlichen Dank und schreiben Sie weiterhin so ehrlich und deutlich, um ein Zeichen des „Volkes Gottes“ zu setzen und seine Stimme laut tönen zu lassen. Es kann derzeit nicht laut genug sein.

Heinrich Lutz, Weil der Stadt


Am Anfang seines Ponifikats hat Papst Franziskus, um eine Selbstauskunft gebeten, gesagt: „Ich bin ein Sünder.“ Das hat sich mir unvergesslich eingeprägt und mich zutiefst gerührt. Als einer, der dasselbe von sich sagen muss, vermisse ich ein solches Bekenntnis von unseren kirchlichen Würdenträgern – einschließlich des Vorgängers von Franziskus.

Übrigens: Jesus hat nie gesagt „Weide meine Hirten“! Seine Aufforderung zielte auf etwas anderes.

Dr. Bernd Meyer-Bender, München


Die „Nachfolger Christi“ schützten jahrzehntelang die Missbrauchstäter statt die Opfer (meist Kinder, Schutzbefohlene der Geistlichen). Der emeritierte Papst verteidigt sich mit juristischen Spitzfindigkeiten, statt offen Reue zu bekennen. Kardinal Marx nennt sich „Verkündiger des Wortes Gottes“, denkt aber offenbar nicht an Mt 18,6, wo es heißt: „Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt würde.“

Insgesamt offenbart sich hier ein erschreckendes spirituelles Vakuum, das mit einigen Reformen nicht zu füllen ist. Die Kirche muss wieder zu einer tieferen Spiritualität finden.

Bis das geschieht, kann man nur auf die „Kirche hinter der Kirche“ zählen: alle Menschen – unabhängig von ihrer Konfession –, die sich aufrichtig um Vertrauen, Wahrheitsliebe und Nächstenliebe bemühen.

Luise Finger, Dachau


Die Kirche hat durch keines ihrer Gremien je unzüchtige Handlungen irgendwelcher Art an Kindern gebilligt. Das sieht bei manchen Vereinigungen in unserer Gesellschaft, die heute das große Wort führen, ganz anders aus. Wäre übrigens die moralische Verurteilung durch die Kirche nicht so eindeutig, hätte es sicherlich weniger Vertuschungsversuche durch die Bischöfe gegeben.

Bloße „Betroffenheit“ – sei es der Verfasserin des Beitrags, sei es des Anwaltsbüros – ist für die Bewältigung des Missbrauchsskandals unzulänglich. Schon wegen der Breite und damit auch der sozialen Bedeutung der kirchlichen Jugendarbeit insgesamt, die ohne Beanstandung tagtäglich geleistet wird, sollte man das Phänomen des Missbrauchs differenzierend ins Auge fassen und die Zahl der diesbezüglichen Straftaten außerkirchlicher Kreise nicht völlig außer Acht lassen. Bisher wurde noch keine Institution im Hinblick auf Fehlverhalten über einen derart langen Zeitraum – nämlich von 75 Jahren – überprüft, weder der staatliche Behördenapparat selbst noch das Schulwesen noch etwa die Sportvereine.

Wolf-Eckart Sommer, Freiburg


Wir alle haben gelernt, dass zum Schuldbekenntnis Reue, Buße und Wiedergutmachung gehören. Wenn Friedrich Wetter und Josef Ratzinger sich selbst entschuldigen, ohne dem Beispiel von Kardinal Marx zu folgen und eine angemessene Summe für die Opfer zu spenden, bleiben Entschuldigungen unglaubwürdige Worthülsen. Um Entschuldigung muss man bitten – man kann es nicht selbst tun.

Franz Hämmerle, Windach


Was bei der ganzen Diskussion zu kurz kommt, ist das geschichtliche Denken. Die wenigsten Päpste, Bischöfe und Priester haben vor 2010 wirklich gewusst, welche furchtbare Folgen sexueller Missbrauch an Kindern hat. Ich gestehe, dass ich selbst – ich war lange Jahre Missbrauchsbeauftragter des Bistums Osnabrück – bis 2001 keine Ahnung und Vorstellung hatte, dass es so etwas in der Kirche gab und gibt. Woher auch, da das Thema tabu war? Hinzu kommt, dass auf Grund der Einstellung: „Was nicht sein darf, das gibt es auch nicht!“ der Missbrauch und seine Folgen gar nicht im Blick waren.

Was ich mir dringend wünsche, ist, dass in der Öffentlichkeit und noch mehr im privaten Bereich der Familie und Verwandtschaft der Blick für den sexuellen Missbrauch von Kindern geschärft und der Mut aufgebracht wird, auch dort einzuschreiten. Für das Jahr 2020 verzeichnet die deutsche Kriminalstatistik 14594 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch. Im privaten Bereich wird sich Ähnliches abspielen, wie wir es in der Kirche erlebt haben: Vertuschung, nicht wahrhaben wollen, Angst vor dem Scheitern des Familienzusammenhaltes ... Am wenigsten werden vermutlich die betroffenen Kinder und die Folgen des Missbrauchs im Blick sein, weil sie ja nicht sofort sichtbar werden, sondern erst nach Jahren und Jahrzehnten.

Heinrich Silies, Osnabrück


Eigentlich verwundert auch die allgemeine Erschütterung! Denken wir daran, wie es schon bei Petrus zugegangen ist: „Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ Und kurz darauf geschah es genau so. Ist es nicht auch tröstlich, dass unsere Kirchengeschichte das Faktum der Fehlbarkeit und in diesem Sinne eben auch Menschlichkeit der Nachfolger Jesu von Anfang an deutlich herausstellt und dadurch übertriebene Erwartungen dämpft. Nur wenn man die Autoritäten über die Maßen erhöht, ist die Fallhöhe beträchtlich und die Enttäuschung gewaltig.

Norbert Köhler, Heppenheim


Beim System des Missbrauchs ist zuallererst an die Opfer zu denken. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich als Teil der Kirche schäme, was ihnen passierte.

Zornig bin ich auf die Täter: Dass so viele Priester und andere Kirchenvertreter im Namen Gottes handeln sollten, aber das ihnen entgegengebrachte, bis ins Existentielle reichende Vertrauen schamlos ausgenutzt haben, nicht nur als einmalige Katastrophe, sondern systematisch. Dazu gehören die Kirchenoberen bis in höchste Kreise, die vertuscht und verharmlost haben und so billigend neue Opfer in Kauf nahmen, um das hierarchische System aufrechtzuerhalten. Dazu gehören auch jene, die als Eltern, Lehrer, Gruppenleiter das Leiden der Opfer mitbekommen haben, aber um der „Heiligkeit“ der Kirche wegen nicht genug Widerstand geleistet haben.

Viele fragen, ob wir „den Laden“ jetzt nicht besser dichtmachen sollen. Ich sage: Der Auftrag Jesu und die Impulse der Bibel bleiben, und wir alle sind die, die danach leben und handeln sollen – wir sind Kirche.

Christian Haubner-Reifenberg, Luckau


Gerade weil ich jede Form von Missbrauch widerlich finde, sollten wir nicht vergessen, dass es auch viele Menschen gibt, die von der Kirche und durch sie nicht nur nicht missbraucht wurden, sondern außerordentlich positive Zuwendung erfuhren. Ich selbst bin katholisch sozialisiert und nie ist auch nur ein Hauch von Missbrauch irgendeiner Art an mich herangekommen. Gerade Pfarrer und Priester waren es, die innerhalb und außerhalb des Beichtstuhls wie selbstverständlich immer aufrichtig für mich da waren, in der Kindheit, in der Pubertät und im Erwachsenenleben.

Werner Bogenschütz, Wurmlingen


Es mag seltsam klingen und womöglich missverständlich sein: Aber die gegenwärtige Erschütterung bisheriger kirchlicher Grundfesten hat für mich auch etwas Befreiendes. Vielfaches Unbehagen, mehr oder weniger bewusstes Leiden an so manchen kirchlichen Missständen kann endlich offen zur Sprache kommen. Dass dabei manche Kritik allzu pauschal ausfällt oder sachlich ungerechtfertigt ist, ist unvermeidbar.

Danke, lieber CIG, für diese Orientierung und Stärkung in schwierigen Zeiten!

Monika Nolte, Karlsruhe

 

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