Es begann mit einem Zufall und endete in der Hitparade: 2008 reichten ein paar Mönche des Zisterzienserklosters Stift Heiligenkreuz bei Wien aus einer Laune heraus ihren Gregorianischen Choral bei einem Musikwettbewerb ein. Das englische Plattenlabel Universal Music war auf der Suche nach den besten und schönsten Stimmen der Kirchenmusik – und war von den Melodien der Mönche begeistert. Schließlich entstand das Album „Chant. Music for Paradise“. Neben Top-10-Plätzen in Deutschland und Österreich eroberten die singenden Zisterzienser auch die englischen Charts. Sie reihten sich damit ein in die Liste von österreichischen Pop-Musikgrößen wie Falco und DJ Ötzi.
Gesang der Engel
Die Mönche, die sich von Beruf als Betende sehen, gaben keine Konzerte, gingen nicht auf Tournee. Nach ihren Erfolgen sind sie weder reich geworden noch abgehoben. „Ja, wir sind am Boden geblieben – Gott sei Dank! Das ganze Projekt hat viel Freude und auch Spaß gemacht und vor allem: Es hat viele Herzen berührt und sehr vielen Menschen die Schönheit und die Kraft christlicher Spiritualität gezeigt“, schreibt Pater Johannes Paul Chavanne in seinem jüngst erschienenen Buch „Wie der Himmel klingt“. Er ist einer der 17 Zisterzienser, die den damaligen Musikerfolg hautnah miterlebt haben.
Im Stift Heiligenkreuz wird der Gregorianische Choral gepflegt wie wohl kaum an einem anderen Ort. Diese uralte Form des gesungenen Gebets lockt Menschen aus der ganzen Welt in den Wienerwald. Seit 900 Jahren preisen die Zisterzienser jeden Tag ab 5:15 Uhr Gott. Sieben Mal am Tag, insgesamt drei Stunden wird der lateinische Choral mit seinen schlichten Melodien gesungen. Mit wenigen Tönen kommt der Gesang aus, auf die Begleitung durch Instrumente wird ganz verzichtet.
In seiner literarischen Entdeckungsreise widmet sich der Zisterzienserpater aus verschiedenen Perspektiven den Wurzeln, der Geschichte und liturgischen Bedeutung dieser „Musik der Stille“, die als älteste bestehende Musikform der Welt gilt. Stille sei der erste Schritt zur Erfahrung Gottes, so der Theologe. „Der Choral kommt aus der Stille und führt wieder in die Stille zurück“, erklärt der Autor, der sich im Stift auch um die Jugendarbeit kümmert und an der Hochschule Heiligenkreuz Liturgiewissenschaft lehrt.
Benannt ist der Gregorianische Choral nach Papst Gregor dem Großen (gestorben 604), der ihn als „Gesang der Engel“ bezeichnet haben soll. Dieser Gesang vermittelt Freude, Trost, Lebenskraft, Gemeinschaft, Versöhnung und Harmonie. Vielleicht spricht der Choral deshalb so viele Menschen an, zumindest lassen allein schon die millionenfach geklickten Videos im Internet darauf schließen. Selbst Menschen, die Religion skeptisch bis kritisch gegenüberstehen, berühren diese Melodien. Viele ihrer lateinischen Texte stammen aus der Bibel, insbesondere aus dem Buch der Psalmen. „In der Gebetsordnung, der wir im Stift Heiligenkreuz folgen, beten wir alle Psalmen innerhalb von zwei Wochen“, erläutert Pater Johannes.
Mehr als fromme Kirchenlieder
Lesen über diese mehr als 1500 Jahre alte, christlich-liturgische Musik ist das eine. Doch das Besondere dieser auch als „Musik des Himmels“ bezeichneten Gesänge und Melodien wird erst erfahrbar, wenn sie erklingen – ob live oder als Aufnahme. Wer „Chant“ also vielleicht nicht ohnehin schon im CD-Regal stehen oder auf dem eigenen Handy gespeichert hat, kann durch QR-Codes im Buch die Melodien akustisch erleben. Eines wird unabhängig davon bei der Lektüre des fast 200-seitigen Buchs deutlich: Den „Praktiker des Gregorianischen Gesangs“ – wie sich der Autor selbst bezeichnet – fasziniert, worüber er schreibt. Deshalb gelingt es ihm auch, den Leser mitzunehmen aus dessen lauter und schneller Welt in eine „andere Welt der Melodien“. Um zu zeigen, „dass diese Musik nicht einfach nur fromm und brav ist, sondern auch spannend, horizonterweiternd und inspirierend“.