Ukraine-KonfliktStell dir vor, es ist Krieg...

… und keiner betet für den Frieden. Wo sind die Kirchen angesichts der akuten Kriegsbedrohung?

© Foto: Neptuul/Wikimedia

Er wird Recht schaffen zwischen vielen Völkern und mächtige Nationen zurechtweisen bis in die Ferne. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Lanzen zu Winzermessern. Sie erheben nicht mehr das Schwert, Nation gegen Nation, und sie erlernen nicht mehr den Krieg (Mi 4,3).

Was für eine wunderbare Vision, die zuerst der Prophet Micha und später Jesaja im Alten Testament entfalten: ein weltumspannendes und immerwährendes Friedensreich, in dem nicht nur todbringendes Kriegswerkzeug zu lebenspendenden Ackerbaugeräten umgeformt wird, sondern das auch so nachhaltig und dauerhaft ist, dass der Nachwuchs gar nicht erst den Krieg erlernen muss, da er niemals mit einer solch schlimmen Gefahr konfrontiert werden wird. Was für ein verzweifelt erhoffter Zustand, den die Weltbevölkerung seit Menschengedenken immer wieder ersehnte und der angesichts der gegenwärtigen russischen Aggressionen in der Ukraine-Krise wieder brandaktuell geworden ist.

Selig, die Frieden stiften

1959 schenkte die damalige Sowjetunion (!) der UNO eine Bronzestatue des Künstlers Jewgeni Wiktorowitsch Wutschetitsch, die in Anknüpfung an die Micha-Prophetie einen muskulösen Mann beim Umschmieden eines Schwertes zeigt. Noch heute steht das Kunstwerk im Garten der UNO und erinnert alle Staatsvertreterinnen und -vertreter an ihre Aufgabe, sich mit allen Kräften für den Weltfrieden einzusetzen. Eine Zeichnung dieser Statue wurde in den 80er-Jahren zum bekannten Symbol der Friedensbewegungen in der DDR und im Westen.

Aber auch im Neuen Testament findet man immer wieder zutiefst pazifistische Aussagen und Imperative, beispielsweise in der Bergpredigt, in der Jesus verkündet: Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden (Mt 5,9). Und noch heute tauschen allsonntäglich Millionen von Gläubigen als Erinnerung an den pazifistischen Grundauftrag aller Christen den Friedensgruß aus (aktuell in virologisch korrekter Form). Den biblischen Friedensvisionen und der gewaltlosen Grundbotschaft des Evangeliums folgend waren es auch die beiden großen Kirchen, die sich – besonders nach den Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges – öffentlich gegen Krieg und für eine friedliche Lösung politischer Konflikte einsetzten. Einige der Leserinnen und Leser werden sich noch an die großen Friedensdemonstrationen gegen den NATO-Doppelbeschluss in den 80er-Jahren erinnern, bei denen Hunderttausende auf die Straße gingen, um für Abrüstung und Weltfrieden zu demonstrieren – darunter auch zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der beiden großen Kirchen; man denke besonders an die katholischen und evangelischen Organisationen wie Pax Christi und Aktion Sühnezeichen.

Und jetzt? Wo ist der laute pazifistische Aufschrei? Wo sind, neben den unerlässlichen diplomatischen Bemühungen, die von den Kirchen mitgetragenen (und natürlich ebenfalls virologisch korrekten) großen Friedensdemonstrationen und die breit angelegten christlichen Gebetsaktionen gegen die drohende Kriegsgefahr und für eine friedliche Lösung des Konfliktes?

Ja, Bischof Bätzing hat in einer Stellungnahme den Angriff auf die Ukraine verurteilt, betont, dass „gewaltfreie oder gewaltärmere Strategien … der Gewalteskalation immer vorzuziehen“ sind, hat an die „Kraft des Gebets“ erinnert und zu Friedensgebeten aufgerufen. Ja, die evangelische Auslandsbischöfin der EKD, Petra Bosse-Huber, hat zu Fürbitten für die Menschen im russischen Grenzgebiet und in der Ukraine aufgefordert. Ja, in einzelnen katholischen und evangelischen Gemeinden gab es Friedensgebetsaktionen. Aber genügt das angesichts einer so akuten Kriegsbedrohung vor der europäischen Haustür?

Je mehr Gebete, desto besser

Wenn man wirklich auf die friedenstiftende Kraft der Demonstrationen und des Gebetes setzt, dann lautet die Antwort: Nein! Angesichts einer solch dramatischen Bedrohung sollten schwerere pazifistische „Geschütze“ aufgefahren werden! Die „Herausgerufene“ (Ekklesia) sollte die Menschen aus ihren Häusern heraus- und zu Demonstrationen und Lichterketten aufrufen und in jeder christlichen Kirche – und natürlich auch in allen anderen Gottes- und Gebetshäusern sämtlicher Religionen – sollte mit ganzem Herzen für eine friedliche Lösung gebetet werden!

Der Untertitel der UNO-Bronzestatue weicht übrigens an entscheidender Stelle vom Wortlaut des biblischen Originals ab. So ist unter dem Kunstwerk nicht der fern-visionäre Satz „Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden“, sondern ein konkreter Imperativ an uns und unsere Gegenwart zu lesen: „We shall beat our swords into plowshares.“ Frieden zu stiften ist also unser aller Auftrag, jetzt und hier. Für den Frieden beten auch.

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