Martin Mosebach wurde unlängst eingeladen, auf einer Tagung über den „katholischen“ Roman zu reden. Er selbst wies von sich, katholische Romane zu verfassen. Und tatsächlich streift auch sein neues Werk „Taube und Wildente“ nur am Anfang zart den Komplex von Sünde und Vergebung, um sich dann ganz dem eigentlichen Hauptaugenmerk Mosebachs zu widmen: der stilvollen Dekadenz, der möglichst manieristischen, langsamen Auflösung des beständig Geglaubten; hier mithilfe der Kunstgeschichte.
Eine Familie im sommerlichen Südfrankreich: Sie, reiche Erbin und Hauseigentümerin, er „anerkannter“ Intellektueller, beide in freier Vernunftehe verbunden, in der nicht gefragt wird und auch keine Antworten erwartet werden. Dazu eine „exotische“ Tochter aus erster Ehe, die den anämischen Pianistenfreund mit dem Stiefvater hintergeht, ein neureicher Nachbar und Hauspersonal, das de facto zur Einrichtung gehört. An der Decke des Hauses breitet sich ein Wasserfleck aus, der zur Katastrophe führen wird, die Enkelin zeichnet sich durch zerstörerische Bosheit aus, und das schöngeistige Lebenswerk des Protagonisten wird von einem Jüngeren übernommen werden. Allein, sonderlich zu stören scheint dies alles niemanden. Erst, als der Hausherr in einem bis dahin wenig beachteten Bild ein kunsthistorisches Meisterwerk zu erkennen glaubt und sich damit gegen seine Frau stellt, die das Bild verkaufen möchte, werden die vorher fein verputzten Risse der Ehe erstmals nachhaltig strapaziert. Es ist diese Ehe und die unangesprochenen, da völlig akzeptierten Lebenslügen, die im Zentrum des Romans stehen. Angerichtet wie ein Stillleben, lässt Mosebach seine Protagonisten und deren Umwelt langsam den besonders adrett mäandernden Bach runtergehen, immer in einer sich an sich selbst berauschenden Sprache, die wie ein Ölgemälde Farbschicht um Farbschicht aufeinanderlegt, um dadurch Struktur und Greifbarkeit zu entwickeln. Natürlich nur, wenn dieses Gemälde fachgerecht ausgeleuchtet ist. Der Streit eskaliert, der Sommer ist vorbei, die Familie trennt sich. Alles deutet auf eine Klimax, eine großangelegte Katastrophe hin. Werden die Lebenslügen der Protagonisten aufgedeckt werden, die Abgründe der Familie sie in den wohlverdienten Untergang reißen?
Die Antwort ist: nein. Das Ferienhaus stürzt ein, die Winterwohnung verbrennt und mit ihr das Bild, das die ganze Bredouille ausgelöst hat. Doch damit ist ein zarter Neuanfang möglich geworden, ohne dass die Geheimnisse aufgedeckt werden müssten. In der Asche der von der Enkelin angezündeten Wohnung greifen Sie und Er sich an den Händen und wagen einen Neuanfang unter einem lässig hingetupften Himmel. Die am Anfang angeklungene Erlösung findet nicht statt; sie ist überflüssig geworden, da ihre Dringlichkeit abhandengekommen ist und nicht mehr nach ihr gefragt wird. Zumindest ist damit die Frage nach dem „katholischen“ Roman beantwortet.