Wenn Psalmen etwas zum Klingen bringen bei denen, die mit ihnen beten, dann weil sich das eigene Erleben mit den Worten des Psalms verbinden kann, weil Resonanz entsteht. Dann öffnen die Psalmen einen gottvollen Raum, aus dem nichts ausgespart werden muss, was menschliches Leben auf dieser Erde ausmacht, auch die Rachephantasie nicht, die man nicht einmal der besten Freundin erzählen würde, auch die Hoffnungslosigkeit nicht, mit der man sich niemandem zu zeigen wagt, auch die Genugtuung angesichts des Unglücks der eigenen Gegner nicht, die gesellschaftlich geächtet ist.
In der gekürzten Form (in der Liturgie), die nur die gesellschaftlich akzeptierten Gottesbilder und Gefühle ins Wort bringt, und die oft genug auf reinen Lobpreis verengt wird, können die Psalmen aber kaum zum Gebetbuch für das Leben werden. Wenn die gewalttätigen Passagen gestrichen werden, wird oft auch eine Ohnmachtsperspektive verstellt. Denn die Gewalt, die die Psalmen ins Wort bringen, wird eben nicht aus einer Perspektive des Triumphs geschildert, sondern aus einer Perspektive der Unterlegenen und Unterdrückten. Diese Perspektive ist wichtig, will man Gott nicht in die Rolle eines Komplizen der Gewaltherrscher drängen. Wenn die sprachliche Gewalt der Psalmen aber herausgestrichen wird, dann ändert sich auch die Rolle Gottes, vor allem in den unstrittigen, lobenden Passagen. Denn Gott, die/der da gelobt wird, fehlt damit die Dimension, auf der Seite der Armen und Unterdrückten zu stehen. Das Lob wird schal, wenn der Eindruck entsteht, dass das Gelobtwerden Gottes vorrangiges Interesse ist, und dass das Loben die einzige Option des Menschen Gott gegenüber ist. Umgekehrt werden Psalmen umso fruchtbarer, je mehr man sie auch als Herrschaftskritik liest, je mehr man also die Stimmen derer, die da zu Wort kommen, gerade nicht als die Stimmen derer hört, die sonst auch immer selbstverständlich zu Wort kommen und Gehör finden.
Spirituelle Lesung mit Annette Jantzen
„Von Gott ... sprechen, schreiben, singen“ – unter dieser Überschrift starten wir am 28. März in Freiburg ins CIG-Jubiläumsjahr. Für die spirituelle Lesung und Diskussion – unter anderem mit Annette Jantzen – sind noch wenige Plätze frei. Bitte melden Sie sich an unter cig@herder.de oder 07 61 –27 17 276