Eine große Figur mit Glatze und buschigem Schnauzbart und eine kleine mit strubbeligen Haaren. Es sind nur ein paar skizzenhafte Striche und doch verbindet sich mit den Vater-und-Sohn-Comics eine ganz eigene Nostalgie. Generationen von Schulkindern haben mit den wortlosen Bildergeschichten schreiben gelernt. Haben sich immer neue, eigene Dialoge und Namen für die beiden ausgedacht und sie in ungelenker Erstklässler-Schrift aufs Papier gebracht. Vielleicht haben sich manche über die heute längst veraltete Technik gewundert, darüber, dass Vater und Sohn lieber dicke Bücher lesen als fernzusehen. Doch die meisten der Geschichten sind so zeitlos, dass man nicht darauf kommen würde, wann sie entstanden sind – zwischen 1934 und 1937. Mitten in der NS-Diktatur.
Auf den ersten Blick sind die Vater-und-Sohn-Comics völlig unpolitisch. Es geht um ganz gewöhnliche Situationen im Familienleben, die mit schnellen Strichen auf die Spitze getrieben wurden. Mehr Alltagsbeobachtung als Humor-Feuerwerk. Und doch wirken einige Comics fast revolutionär, wenn man weiß, dass sie aus einer Zeit stammen, in der Kunst und Kultur weitgehend gleichgeschaltet waren und genau überwacht wurde, worüber man lachen durfte. Wenn der strenge Lehrer nicht das letzte Wort hat, wenn Vater und Sohn die Rollenbilder der klassischen Familien-Hierarchie auf den Kopf stellen, mag das zwischen den Zeilen ein Angriff auf ein ganzes System gewesen sein.
Dass der Zeichner der Comics Erich Ohser nichts vom Nazi-Regime hielt, zeigte sich in den Karikaturen, mit denen er Hitler und Goebbels verspottete. Zwischenzeitlich stand er deswegen unter Arbeitsverbot, Vater und Sohn musste unter Pseudonym erscheinen. Mit Anfang vierzig wurde Ohser schließlich doch verhaftet, weil er sich zu offen gegen die NSDAP ausgesprochen hatte. Verraten wurde er von einem Nachbarn, dem er sich kurz zuvor anvertraut hatte. Am Tag vor dem angesetzten Prozess schrieb Ohser einen Anklagebrief an seine Henker – auch im Namen des jungen Publikums, für das er seine Comics gezeichnet hatte: „Möge der Fluch von hunderttausend Kindern auf Sie herabkommen!“ Dann erhängte er sich in seiner Zelle.
Es ist nachvollziehbar, dass man Grundschulkindern solche Details ersparen will. Und trotzdem ist es traurig, dass so viele die Geschichten von Vater und Sohn kennen, aber so viel weniger die Geschichte dahinter. Zumal man einige Comics mit anderen Augen sieht, wenn man die Hintergründe ihrer Entstehungszeit kennt. Insbesondere die letzte, mit Abschied überschriebene Bildergeschichte, zu der vermutlich kaum ein Kind je einen Schulaufsatz geschrieben hat: Vater und Sohn laufen Hand in Hand dem Horizont entgegen. Dann heben sie mit einem Mal ab und steigen in den Himmel auf. Im letzten Bild hat das runde, bärtige Gesicht des Vaters den Platz des Mondes eingenommen. Er lächelt zufrieden auf die Welt herunter. Neben ihm leuchtet ein Stern, der wie der Weihnachtsstern über einem einzelnen Haus zu stehen scheint. Wann immer ein Kind geboren wird, gibt es Hoffnung, so könnte man das Bild lesen. Die nächste Generation wird es besser machen. Ohsers tatsächlicher Sohn Christian überlebte den Terror der NS-Zeit. Er starb im Jahr 2001.