Der Begriff Transzendenz (von lat. transcendere, „überschreiten“) meint eigentlich die Fähigkeit des Menschen, über die Grenzen seines Vermögens und Erkennens hinauszudenken. Wo der Mensch das, was sinnlich erkennbar ist, überschreitet, ist er über sich hinaus verwiesen. Die Frage nach dem Transzendenten setzt ein.
In christlicher Perspektive hat Gott von sich aus immer schon die Grenze zwischen ihm und uns überschritten. Gott ist Liebe (vgl. 1 Joh 4,8) – und Liebe ist immer ein Wagnis. Weil Gott Liebe ist und Liebe nicht anders kann, als aus sich herauszugehen, zählt das Überschreiten von Grenzen zur Wesensart Gottes. Die Fleischwerdung des Logos (vgl. Joh 1,14) bedeutet: In Jesus von Nazaret wird Gott ein Mensch, der sich den Bedingungen des irdischen Lebens unterwirft und sich eingrenzen lässt. Für ein „Leben im Übergang“, das sich am Weg Jesu orientiert, gilt beides. Gelegentlich geht es darum, Grenzen zu überschreiten: Grenzen des Inneren (Egoismus, Kleinmut) und des Äußeren (Erwartungen, Rollenbilder, gesellschaftliche Vorgaben).
Im Blick auf den roten Faden der Geschichte zwischen Gott und Mensch wird man sagen dürfen: Gott liebt das Wagnis. Er hat sich in Schöpfung und Erlösung selbst ins Spiel gebracht und alles riskiert. Sich daran zu orientieren, ist – mit einem alten Wort – Großmut.
Aus: CHRISTOPH BENKE: „Leben im Übergang. Die österliche Dynamik christlicher Spiritualität“ (Verlag Herder, Freiburg 2023)