Bericht der Freiburger AG „Aktenanalyse“Verstörende Erkenntnisse

Der Freiburger Bericht beleuchtet ein viel zu lange funktionierendes Netz aus Ignoranz, Machtkonzentration und Rechtlosigkeit. Doch nicht nur Würdenträger haben sich schuldig gemacht.

Das Fazit der Gutachter ist verheerend: Unter den Erzbischöfen Saier und Zollitsch herrschten systematische Vertuschung und eine atemberaubende Ignorierung des geltenden Kirchenrechts. Saier soll nicht nur die Zusammenarbeit mit staatlichen Ermittlungsbehörden verweigert haben, sondern verschleierte wohl auch in den Personalakten die wahren Gründe für Versetzungen von Tätern, die er, wie ein eindrückliches Zitat belegt, an neuen Stellen „versteckelte“. Zentraler scheint aber ein anderer Satz Saiers gewesen zu sein: „Mach du’s, Robert!“ Der spätere Erzbischof muss schon als Personalchef einen gewaltigen Einfluss auf Saier gehabt haben, der ihn nachweislich damit beauftragte, Akten verschwinden zu lassen, oder wichtige Aufzeichnungen gar nicht erst anfertigen zu lassen. Zwischen den beiden scheint es eine „einvernehmliche Zusammenarbeit“ gegeben zu haben, deren Zweck vor allem darin lag, unliebsame kanonische Interventionen abzuwehren.

Da half auch kein Kirchenrecht. Als Rom 2001 beschloss, dass die Bistümer Fälle kriminell gewordener Priester künftig an die Glaubenskongregation zu melden hätten, tat Freiburg: gar nichts. Unter Zollitschs Pontifikat zeigten sich die „Freiburger Besonderheiten“, die im Vorfeld von den Autoren der Studie angekündigt worden waren, in der unvergleichlich hohen Stellung, die der Erzbischof einnehmen konnte. Die lange personelle Kontinuität tat ihr Übriges, damit Betroffene kaum auf eine Änderung der ungünstigen Ausgangspositionen hoffen konnten. Sie spielten für Zollitsch und Saier keine Rolle, wenn es darum ging, die Kirche gegen Anschuldigungen von „außen“ zu verteidigen.

Betroffene mussten aber auch erfahren, dass Vertuschung und Ignoranz keine alleinige Sache von „denen da oben“ waren und sind. Teilweise war es die eigene Pfarrgemeinde, die Nachbarn von nebenan, die den Betroffenen das Leben zur Hölle machten, wenn diese es „wagten“, den beliebten Pfarrer anzuzeigen. Dieser verstörende Befund erinnert zu Recht daran, was es heißt, Missbrauch sei ein „systemisches“ Problem. Das „System Kirche“ sind Kleriker wie Laien, und Schuldige finden sich in allen Schichten der Kirche. Die erschreckende Ignoranz und brutale Verleugnung, die Betroffene erfahren mussten, sind kein Privileg von mächtigen Klerikern. Rechtsfreie Räume konnten geschaffen werden, weil Kontrolle an vielen Orten versagte und zahlreiche Mitwisser und bereitwillig helfende Hände vorhanden waren. Dieses Bewusstsein der potenziellen Schuldigkeit aller Glieder der Kirche muss auch bei jedem angestrebten systemischen Umbau vorhanden sein. Ansonsten bleibt eine „Entklerikalisierung“ weitgehend wirkungslos.

Gleichzeitig darf ein Zurückdrängen kirchlicher Macht keinen rechtsfreien Raum ermöglichen. Nur mit einem Kirchenrecht, das mit falscher Ehrfurcht und blindem Gehorsam dem Bischof gegenüber aufräumte und auf das sich jeder Gläubige in der Not berufen könnte, wäre eine wahre Gewaltenteilung innerhalb des klerikalen Systems Kirche möglich. Macht ist nichts per se Schlechtes, wenn sie Recht und Gesetz garantiert. Gerechtigkeit heißt Aufrechterhaltung des für alle gültigen Rechtes, Einklagbarkeit und Entschädigung. Es heißt nicht vorbehaltlos vergeben, vergessen und verzeihen. Die Fälle müssen aus dem Dunkel versteckter Akten ans Licht geholt werden, damit kein Bischof mehr einen schuldigen Priester in irgendeinem Dorf „versteckeln“ kann.

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