Bücher, das wissen wir jetzt, kann man nicht verbrennen“ – das berühmte Zitat Erich Kästners, der am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz unerkannt Zeuge wurde, wie seine Werke in Flammen aufgingen, steht als Motto über unserem Festival „Hamburg liest verbrannte Bücher“ vom 10. Mai bis zum 10. Juni. Die Hetzjagd auf Künstler und Literaten sowie missliebige Intellektuelle jährt sich dieser Tage zum 90. Mal: Nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler drangen Nazi-Schergen in Wohnungen ein, zerschlugen das Mobiliar, verbrannten Manuskripte und Bücher. Kästners Roman Fabian. Geschichte eines Moralisten wurde damals als einer der ersten ins Feuer geworfen. Er selbst schrieb dazu: „Das blutige Rot der Scheiterhaufen ist immergrün.“ In der aktuellen Fabian-Verfilmung von Dominik Graf ertrinkt der Filmheld, weil er nicht schwimmen kann. Er geht unter wie wenig später ganz Deutschland, ja die ganze Welt.
Mit Fug und Recht wurde der Flughafen Kabuls während der Evakuierung vor knapp zwei Jahren mit dem Berliner Anhalter Bahnhof zur NS-Zeit verglichen, von dem aus Heinrich Mann und andere Kunst- und Wortschaffende mit Regenschirm und leichtem Gepäck zu entkommen suchten – der Terror der Nazis schreibt sich in neuer Form im Terror der Taliban fort.
„Bücher werden in Ägypten geschrieben, im Libanon gedruckt und im Irak gelesen“, lautet ein arabisches Sprichwort. Die Zentralbibliothek war das Herz der Universität von Mossul, ja das Zentrum des Wissens und der Bildung des Irak. Eine Million Bücher umfasste ihr Bestand, darunter Tausende seltene historische Ausgaben wie die einzige Kopie der Biografie über den sagenumwobenen Kalifen Salah Al-Din. Nur rund 30 000 haben die Zerstörung durch den Islamischen Staat überstanden. „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“, schrieb Heinrich Heine in seiner Tragödie Almansor – und behält Recht.
Meinungs- und Pressefreiheit sind auch heute ein Privileg, keine Selbstverständlichkeit. Gerade deutsche Schulkinder, die leichten Mutes ihre Botschaften in Handys tippen oder vor einem Computer Kontakte in die weite Welt pflegen, sollten nicht vergessen, wie fragil das Menschenrecht ist, ohne Angst vor Gewalt den eigenen Gedanken freien Lauf zu lassen. Früher hatte ich oft Ingo Barz zu Gast im Unterricht, der als Künstler zu DDR-Zeiten nur in kirchlichem Umfeld singen durfte und meinen Jugendlichen erklärte, was Zersetzung war: In Abwesenheit kamen Stasi-Schergen regelmäßig ins Haus und veränderten solange die Einrichtung, bis sich der Bewohner sicher war, etwas stimme nicht – aber niemand ihm Glauben schenken wollte. Der Heimgesuchte sollte irre werden sowie entfremdet von seinem sozialen Umkreis.
Barz hat das Lied Die Gedanken sind frei umgedichtet, sodass es auf die Zustände in der DDR passt: „Ich denk mir ein Haus aus Reimen und Noten, wo keinem der Aus- und Eintritt verboten.“ Die Gospels, die in so manchen Gefängnissen der Apartheidszeit entstanden sind, bergen eine ähnliche Sprengkraft: Wo dem Körper von den Mächtigen die Freiheit geraubt wird, verhelfen sie dem Geist zu Höhenflügen, weil dieser nicht eingemauert werden kann. Auch die Kirche hat angesichts ihrer elenden Geschichte von Scheiterhaufen und Index reichlich Grund, der Meinungsfreiheit die Ehre zu geben.