Die britische Monarchie hat ihre Pflicht getan. Die Krönung des nicht mehr ganz so neuen Königs brachte Großbritannien in die Schlagzeilen. In den Zeitungen gab es Sonderseiten, in der Tagesschau die erste Meldung, präsentiert von einer ganz in Weiß gekleideten Moderatorin Judith Rakers. Allein das stundenlange Sonderprogramm der ARD kam auf einen Marktanteil von 42,6 Prozent mit knapp 5 Millionen Zuschauern, melden Medienmagazine. Die Monarchie zieht eben immer noch, würden PR-Strategen sagen.
Warum sprechen die Bilder aus London die Menschen an? Das dürfte auch daran liegen, dass das archaische Krönungszeremoniell auf eine universale menschliche Sehnsucht antwortet. Unsere Welt ist komplex, ja chaotisch. Die Botschaft der Krönung hält dagegen: „Alles ist gut!“ Dumpfe Paukenschläge geben den Takt an. Im feierlichen Gleichmaß, als wäre es das Selbstverständlichste, zieht die Prozession zur Krönungskirche. Und die Pferde, all die Pferde erst! Mensch und Tier anscheinend in perfekter Harmonie. Und (fast) alle Zuschauer an den Absperrzäunen jubilieren. In der Westminster Abbey wird dann der göttliche Auftrag erfüllt. Charles wird gesalbt und erhält so die Stärkung von oben, um sein Volk in Treue und Barmherzigkeit zu regieren, gehüllt in einen Hermelinmantel, hinter sich die meterlange Schleppe. Wie im Märchen? Mag sein, aber eben auch: Wie schön! Das haben sicher viele insgeheim gedacht. Und jeder hat seinen Platz in dieser Ordnung. Klerus, Adel, Volk – korrekt sortiert nach Rang. Selbst die Zukunft scheint so hell und klar. William und George sind ja da, sie werden die Nächsten sein, die hier gekrönt werden.
Das muss die Stärke des Rituals sein. Der Hinfälligkeit der Welt wird machtvoll etwas entgegengesetzt. Mehr noch als die exzentrische Pracht sind das Orientierung und Sinn, die das große Theater der Monarchie vermitteln soll. Wie wohltuend, sich für einen Moment der Illusion hinzugeben. Eben: „Alles ist gut!“ Dabei ist selbstverständlich nicht alles gut, weder in Großbritannien noch sonstwo.
Aber wir brauchen solche sinnstiftenden Geschichten. Christlich-jüdisch gibt es die größte Erzählung an prominenter Stelle in der Bibel. Gleich am Anfang der Genesis geht es um das Sieben-Tage-Werk des Schöpfers, der das Tohuwabohu von Finsternis und Urflut zähmt. Der alles ins Dasein ruft, Sonne, Mond und Sterne am Himmel befestigt, Tieren und Menschen ihre Form gibt. Der allem seinen Platz zuweist in diesem Gesamtkunstwerk, dem Kosmos, was ja nichts anderes als „Ordnung“ heißt. Und siehe, heißt es feierlich am Ende des Schöpfungswerks, „es war sehr gut“ (Gen 1,31).
Natürlich kann man die Krönung von Charles nicht mit dem Schöpfungsbericht gleichsetzen, aber beides knüpft an diese uralte Sehnsucht nach Orientierung an. Insofern findet sich in beidem Wahrheit.
Aber, eben so wichtig: Beides stößt da an seine Grenzen, wo man es allzu wörtlich nimmt. Denn natürlich wurde die Welt nicht in sieben Tagen geschaffen, wir sind doch keine religiösen Fundamentalisten! Und Charles regiert sein Volk nicht wirklich, sein Land ist gar die Wiege der parlamentarischen Demokratie. Und überhaupt. Wir leben doch nicht im Mittelalter! Nur ein kleines bisschen vielleicht, manchmal.