Heilige BergeAuch Christen schnuppern Höhenluft

Sie sind mehr als geografische Erhebungen. Der Schweizer Historiker Jon Mathieu hat die Verehrung von Bergen weltweit untersucht. Sein Blick aufs Christentum bedarf der Ergänzung.

Mit dem Begrünen der Religion (Greening of religion) habe das Christentum wegen seines anthropozentrischen Weltbilds zu spät angefangen, meint der Schweizer Historiker Jon Mathieu, der durch seine Publikationen zur Kulturgeschichte der Alpen bekannt wurde. Als Beleg führt er in seinem neuen Buch das Tridentinische Glaubensbekenntnis an, in dem die Umwelt nur als Himmel und Erde vorkommt und kein Berg heilig genannt wird. Auch die „ökologische“ Enzyklika Laudato si von 2015 habe da kaum etwas geändert. Und ebenso weiche der „protestantisch-evangelische Pfad“ wenig von dieser Haltung ab.

In Asien dagegen, im Buddhismus und Hinduismus, werden zahlreiche Berge als heilig verehrt. Reinhold Messner hat viele davon in Europa populär gemacht und behauptet: „Von jeher waren Berge den Menschen heilig.“ Als Beispiel nennt Mathieu den Kailash (6638 Meter hoch) im Grenzgebiet zwischen China, Indien und Nepal, laut dem deutschen Buddhisten Anagarika Govinda ein „Gefäß kosmischer Kräfte“. Dieser Berg entwickelte sich in den letzten Jahren vom Pilgerziel, das mehrfach umrundet wird (13 Mal, um einen Mord zu sühnen), zum Touristenmagneten. Der Taishan (1543 Meter) in der chinesischen Provinz Shandong ist der prominenteste der „Fünf Großen Berge des Landes“. Sie entsprechen den fünf Elementen und den fünf Himmelsrichtungen der alten Staatsideologie (in der Elemente des Konfuzianismus, des Daoismus und des Buddhismus vereinigt waren).

Aber auch auf anderen Kontinenten gibt es heilige Berge: Der Uluru, früher Ayers Rock genannt, ist ein 350 Meter hoher Sandsteinfelsen in der australischen Wüste. 1982 wurde er in einer feierlichen Zeremonie von der australischen Regierung an die Aborigines, die hier seit 40000 Jahren leben, zurückgegeben. Ebenso werden verschiedenen Bergen in Afrika und Amerika immer wieder religiöse Traditionen zugeschrieben, die aber noch nicht lange nachweisbar sind.

Am Mount Rushmore, einem Felsmassiv in South Dakota, hat man zwischen 1927 und 1941 die Porträtköpfe von vier US-Präsidenten als National Memorial eingemeißelt. Seit 1948 wird ihnen das Porträt des Häuptlings Crazy Horse gegenübergestellt, der auf einem 200 Meter langen Pferd sitzen soll. Das Crazy Horse Memorial stellt das National Memorial in Frage. Berge werden hier für gegensätzliche Deutungen der Geschichte herangezogen.

Und in Europa? Zum Heiligen Jahr 1900 sollten Gipfelkreuze auf den Hauptgipfeln der 19 Regionen Italiens aufgestellt werden. 2005 installierten Mailänder Alpinisten Buddha-Statuen auf Kletterbergen an der Grenze zur Schweiz. Immer häufiger flattern auf Alpengipfeln tibetische Gebetsfahnen. 2010 zerstörte ein Schweizer Bergführer drei Gipfelkreuze, weil die Natur keine Religion habe.

Heilig sind Berge nach der Lehre der Kirche nicht – wohl aber nach der Praxis von Gebet und Ritus. In den Psalmen werden Berge als Werke Gottes, als Zeugen seiner Größe und Macht immer wieder aufgerufen. Sie sind keine Sitze von Göttern, doch Zeugnisse der Heiligkeit des einen Gottes. Im Leben Jesu, wie es die Evangelien erzählen, spielen Berge eine große Rolle, vom Ort der Bergpredigt bis zur Verklärung auf dem Berg Tabor, vom Tempelberg in Jerusalem, dem Hügel Golgatha bis zum Felsengrab in der Nähe. Gerade die letzten Stationen des Lebens Jesu wurden immer wieder nachgebaut, etwa am Sacro Monte über Varallo seit 1480, oft auch in der Schweiz, in Bayern, Böhmen und Ungarn. In den Briefen des Paulus, die an ein städtisches Publikum in Rom, Korinth oder Ephesus gerichtet sind, kommen Berge nicht vor, umso mehr in der Offenbarung des Johannes, die mit der Vision einer Stadt aus Gold und Edelstein auf einem hohen Berg endet.

Die Geschichte des Christentums und des Islams setzte die Tradition des Königs Josia von Juda (640–609) fort, der die Heiligtümer auf den Bergen vernichtete. Trotzdem haben immer wieder Einsiedler Berge als Orte des Rückzugs und der Gottesnähe aufgesucht, von den Wüstenvätern bis zu Benedikt, Bruno, Franziskus und vielen anderen auf dem Berg Karmel, dem Athos, dem Montecassino. Aus ihren Einsiedeleien entstanden Klöster, die wiederum Kapellen und Kirchen auf Bergen ihrer Umgebung als Wallfahrtsorte errichteten und betreuten, von Svata hora (Heiliger Berg) über Pribram in Böhmen, Sonntagberg in Niederösterreich bis Georgenberg in Tirol, Maria Lindenberg im Schwarzwald, den Kalvarienberg bei Tölz und die Kreuzberge in der Rhön und bei Bonn. Betend bergauf zu wandern, ist ein Kennzeichen orthodoxer und katholischer Frömmigkeit. Es hat vom Athos bis in die Pyrenäen, von Piemont bis Ungarn und Irland die Landschaft geheiligt, durch heilige Zeichen verändert. Doch davon ist in dem Buch nicht die Rede.

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MATHIEU, JON

MOUNT SACREDEine kurze Globalgeschichte der heiligen Berge seit 1500

Böhlau Verlag, Wien 2023, 192 Seiten, 35 €