In dieser Studie, so erklärt Georg Hummler, bilde sich seine ganze theologische und psychotherapeutische Biographie ab. Tatsächlich kann der Autor eine gründliche Ausbildung in Provokativer Therapie bei Frank Farrelly vorweisen. Zudem hat er Religionsphilosophie, Religionsgeschichte und Katholische Theologie in Freiburg, Rom und Tübingen studiert. 2019 wurde er an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt promoviert. Er arbeitet als Flüchtlingsbeauftragter im katholischen Dekanat Calw.
Das Ziel seiner umfangreichen Arbeit formuliert er als Frage: „Inwiefern kann die christliche Erlösungslehre als Leitkategorie für psychotherapeutisches Handeln relevant sein?“ Auf der Suche nach einer Antwort lotet er die spirituelle Dimension der Provokativen Therapie aus und entdeckt im Paradoxon des christlichen Erlösungsdenkens eine starke verbindende Brücke. Dabei ist er sich des naheliegenden Einwands bewusst, damit werde therapeutisches Handeln theologisiert und Theologie psychologisiert.
Als Seelsorger könnte sich Georg Hummler ja einfach auf das Heilungshandeln Jesu berufen, der zudem den Jüngern den Auftrag gab, selbst zu heilen (vgl. Lk 9,1f.) Stattdessen konzentriert sich der Autor auf die Kategorie der Provokation, die er als entscheidendes Element sowohl von Therapie als auch österlicher Theologie von Tod und Auferstehung begreift: Der „im Grab“ seiner letztlich selbstschädigenden Verhaltensmuster sitzende Patient wird durch provozierende, möglichst humorvolle Interventionen herausgefordert, seinen Schutzbunker zu verlassen – so wie Lazarus von Jesus aus dem Tod zum Leben gerufen wurde.
Im ersten Teil seiner Arbeit stellt Georg Hummler zunächst die Provokative Therapie von Frank Farrelly vor, der als Schüler und Mitarbeiter von Carl Rogers dessen Klientenzentrierte Psychotherapie weiterentwickelt hat. Detailliert erörtert der Autor die Phänomene des Humors, des Komischen und des Heiligen, indem er das Komische als „kontrastierende Provokation“ denkt, es zum Beispiel bei den Heiligen als „Narren Christi“ findet. Das Wort vom Kreuz sei ein paradoxes Bekenntnis (1 Kor 1,18: „Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verlorengehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft“), und die „Narrheit in Christus“ ist Ausdruck seiner Selbsterniedrigung.
Das Paradoxon sieht Hummler als Schlüsselbegriff für die Selbstentäußerung Christi, die Kenosis. Sie ist für ihn der zentrale Begriff der von ihm entworfenen Soteriologie (Erlösungslehre). Ausgehend vom Philipperhymnus (Phil 2,5–11) wird der Gedanke, dass sich Gott für die Menschen erniedrigt hat, um sie zu retten, breit entfaltet. Dabei kommt vor allem die Theologie der Ostkirche zu Wort, die den „wunderbaren Tausch“ betont: Gott wird Mensch, tritt an die Stelle des Sünders, um den Menschen zu erheben, zu vergöttlichen. Christus stieg hinab in die Hölle, um alle Menschen daraus zu befreien. Hummler plädiert geradezu leidenschaftlich gegen die traditionelle Theologie dafür, dass Erlösung allen Menschen zuteilwird, dass nur die „Allversöhnung“ (die Apokatastasis panton des Origines) der Rettungstat Christi gerecht werde. Die entscheidende Belegstelle dafür ist für ihn 1 Kor 15,28: „Wenn ihm (Christus) alles unterworfen ist, wird auch er, der Sohn, sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott herrsche über alles und in allem.“
Die Vorstellung, dass ein Teil der Menschheit zu ewiger Verdammnis verurteilt ist, wie Augustinus meinte, ist für Hummler unerträglich: „Die Konsequenz ist der grauenvollste psychische Sadismus, den das Christentum hervorgebracht hat, weil es zahllose Menschen über eineinhalb Jahrtausende hinweg in eine aussichtslos-verzweifelte Gottes- und Lebensfurcht getrieben hat.“ Und in seiner Zusammenfassung fügt er hinzu: „Die aktuelle Psychotraumatologie weiß von transgenerationalen Wirkstrukturen. Die lebensbedrohlichen Erfahrungen sowie die daraus resultierenden Erkenntnisse der eigenen Vorfahren sind heute in der eigenen Psyche gegenwärtig. Alle Ängste, die sie durchstehen mussten, ihre (Überlebens-)Kämpfe, ihre Versäumnisse und ihr Versagen sitzen uns als stets wirksames Erbe bis heute in den Knochen. Unsere Vorfahren leben mit ihren Erfahrungen und Emotionen in den Tiefen unserer Seele, in unserer inneren Toten- und Unterwelt, weiter.“ Ich selbst habe diese Thematik ausgearbeitet und mit der modernen Hirnforschung belegt, dass der Dauerstress der Angst durch die jahrhundertelange Drohung mit der Hölle die Glaubens-, das bedeutet Vertrauensfähigkeit der Menschen geschädigt hat. Dies ist die tiefste Ursache der Glaubenskrise.
Gegen den immer noch üblichen Moralismus in der Soteriologie versteht Hummler „Sünde“ als Wesensmerkmal des sterblichen, fehlbaren Menschen. Wie der Sund, der mich vom anderen Ufer trennt, entfernt sie die Menschen von Gott und voneinander. Als moralische Kategorie führt sie in die Irre. Breit entfaltet der Autor die Erlösungslehre der orthodoxen Theologie, der Ikonographie im christlichen Osten und der ostkirchlichen Liturgie, gipfelnd in der Lazaruserweckung des Karsamstags. Die Vernichtung der Hölle durch Christi Abstieg dorthin und die Apokatastasis panton, die Rettung aller Menschen, sind dabei die zentralen Themen. Der Osterkanon des Johannes von Damaskus und die Vespern vor dem Lazarussamstag werden ausführlich zitiert. Dabei dient die Legende vom armen Lazarus und dem reichen Prasser (vgl. Lk 16, 19–31) als Folie für das Bekenntnis der Sündhaftigkeit des Beters, mündet aber in die Lazaruserweckung in Johannes 11, die als „Vorspiel der Auferstehung Christi“ gesehen wird. Der Text von Johannes 11,1–44, wird im Anschluss an Michael Theobald exegetisch erschlossen und die Namen und Ortsangaben werden etymologisch und psychotherapeutisch analysiert.
Diese ausführliche, mit zahlreichen Exkursen und Fallbeispielen angereicherte Dissertation zeugt von der akribischen Mühe, die der Autor aufgewendet hat. Sie ist mit deutlichem persönlichem Engagement geschrieben, verlangt vom Leser allerdings mit dem für solche Arbeiten typischen Umfang von fast 500 Seiten einen langen Atem.