Nach hundert Jahren voller erbitterter Kriege, Millionen von Toten und einer generationsübergreifenden Erbfeindschaft zwischen Deutschland und Frankreich wollte man Anfang der 60er-Jahre den Teufelskreis durchbrechen, Versöhnung vorantreiben und den Grundstein für eine bilaterale Freundschaft legen. Im Élysée-Vertrag verpflichteten sich die beiden Länder zu regelmäßigen Treffen der Regierungsvertreter, zu Absprachen in allen wichtigen Fragen der Außen-, Europa- und Verteidigungspolitik sowie zur Gründung des Deutsch-Französischen Jugendwerkes. Eine weitere Frucht des Abkommens sind die rund 6000 Städtepartnerschaften zwischen Frankreich und Deutschland, die sich bis heute großer Beliebtheit und Lebendigkeit erfreuen.
Ein besonderes Bewusstsein für die länderübergreifende Verbindung hat in mir ausgerechnet ein israelischer Professor an meiner US-Universität geweckt. In seiner Vorlesung über den Nahostkonflikt betonte er immer wieder, dass für ihn die Verwandlung dieser Erbfeindschaft in eine Erbfreundschaft ein leuchtendes Vorbild darstelle, und er schärfte uns wiederholt ein: „Vergessen Sie niemals, wie außergewöhnlich, wie kostbar und wie wichtig die deutsch-französische Freundschaft ist!“
60 Jahre nach Vertragsunterzeichnung ist die Verbindung zwischen Frankreich und Deutschland Gott sei Dank nach wie vor stabil, eng und herzlich. Die beiden ehemals verfeindeten Länder stehen jedoch vor der Frage, wie diese wertvolle Freundschaft gut und dauerhaft an die nachfolgenden Generationen weitergegeben – ja: vererbt – werden kann. So zieht beispielsweise eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2018 zur Entwicklung der deutsch-französischen Städtepartnerschaften eine insgesamt positive Bilanz, empfiehlt jedoch auch nachdrücklich, die Jugendlichen noch stärker in den Blick zu nehmen, sie intensiver miteinzubeziehen und neue Begegnungsformen für sie zu schaffen. An dieser Stelle sind der Staat, die Gesellschaft und gerade die Kirchen mit ihrem freundschafts- und gemeinschaftsstiftenden Potenzial gefragt.
Aus diesem Grund ist es ein wunderbarer Schritt, dass die Verkehrsminister von Frankreich und Deutschland zum 60. Jahrestag des Élysée-Vertrages 60000 sogenannte Freundschaftspässe auf den Weg gebracht haben. Mit dem Bahnticket, das am Montag in den Online-Verkauf startete, können junge Erwachsene bis 27 Jahre aus Frankreich und Deutschland für einen Monat per Nah- und Fernverkehr das jeweilige Nachbarland bereisen. Verkehrsminister Volker Wissing betonte bei seiner Ankündigung, das Ticket sei „ein tolles Angebot für junge Menschen, das deutsch-französische Freundschaftsjubiläum zu begehen. Die aktuellen Geschehnisse in Europa zeigen, wie wichtig der gegenseitige Austausch für das Fortbestehen eines friedlichen und demokratischen Europas ist.“
Der Freundschaftspass erwies sich als heiß begehrt, sodass der Server der deutschen Webseite bei der Freischaltung am Montagmorgen für mehr als eine Stunde komplett zusammenbrach. Welch schönes Lebens- und Hoffnungszeichen für die Zukunft der deutsch-französischen Erbfreundschaft und ein Beleg dafür, dass (vorübergehende) Schwierigkeiten auch ein positives Signal sein können – oder um einen Kommentar auf der französischen Webseite zu zitieren: „Der Frankreich-Deutschland-Pass war ein Opfer seines eigenen Erfolges.“